Message auf der Laute

Yoga für die Ohren: In der Philharmonie zelebrierte Sting die spätmittelalterlichen Lautensongs von John Dowland als Wurzel des britischen Pop – und zeigte sich selbst als einen in Würde Gealterten

VON DANIEL BAX

Früher oder später erwischt es sie offenbar alle. Irgendwann drängt es die Großkünstler der New-Wave-Ära mit aller Macht in die Sphären der Hochkultur. Elvis Costello zog es mit der Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter und dem Brodsky-Quartett aufs klassische Parkett. Joe Jackson hat sich auf seinen letzten Alben immer mehr zwischen Klassik, Jazz und sinfonischen Pop-Kompositionen verloren. Und auch David Byrne versuchte sich schon an diversen Ambient-Soundtracks, Theatermusiken und Pop-Opern. Da wundert es nicht, dass auch Sting nun das U für ein E eingetauscht hat.

In den vergangenen Jahren hat er die Lautenmusik der Renaissancezeit für sich entdeckt und Übungsstunden auf dem Instrument genommen. Sting wäre aber nicht Sting, würde er nicht die ganze Welt an seinen Fingerübungen auf der Laute teilhaben lassen. Sein letztes Album „Songs from the Labyrinth“ erschien auf dem renommierten Klassik-Label „Deutsche Grammophon“, dessen Signet stolz auf dem Cover prangt. Nun trägt er seine Botschaft auf der Laute in die Konzertsäle der Welt. Am Montagabend war die Berliner Philharmonie dran.

Jedem Anfang aber wohnt ein Zaudern inne. Der bosnische Lautenspieler Edin Karamazov eröffnete den Abend rein instrumental und gab unter anderem virtuose Bach-Variationen zum Besten. Mit seinem roten Samtjackett, der schwarzen Hose und der Prinz-Eisenherz-Frisur wirkte er selbst ein wenig wie ein Minnesänger aus vergangenen Zeiten. Dann erst trat Sting auf die Bühne, um schweigsam neben ihm Platz zu nehmen. So wirkten die beiden zunächst wie Meister und schüchterner Schüler. Erst mit der Zeit verlagerte sich der Fokus des Konzerts unvermeidlich auf den Popstar.

Im Stil eines Märchenonkels führte Sting durch den Abend, vom Scheinwerferlicht milde angestrahlt. Er erzählte die Geschichte von John Dowland, dem größten Lautenspieler seiner Zeit, der im 16. Jahrhundert die höfischen Lieder zur instrumentalen Kunstform erhob. Und er erzählte, wie Dowland erhoffte, am Hofe der protestantischen Königin Elisabeths I. eine Anstellung zu finden, aber als Katholik zunächst keine Chance bekam. So tingelte er quer durch Europa, von Dänemark bis Italien, von Königshof zu Königshof, bevor er wieder in seine Heimat zurückkehrte. Es war einmal in England.

Sting sang die Poeme aus elisabethanischer Zeit angemessen getragen, aber seine charakteristische Stimme blieb brüchig. Dramaturgisch effektvoll wechselte die Zahl der Hintergrundsänger auf der Bühne mit jedem Song, wenn auch der gemischte Chor von „Stilo Antico“ eher unterfordert wirkte.

In den letzten Jahrzehnten ist Dowland als Ahnherr einer leisen, fragilen Liedtradition wiederentdeckt worden. Sting hat sich an diesen Zug nur angehängt. Aber der Streit darüber, ob das nun bloß die Ranschmeiße eines etablierten Rockstars ist oder doch ein Beitrag zur Popularisierung eines Genres, ist müßig. Sting zelebrierte Dowlands spätmittelalterliche Musik als eine Wurzel des britischen Pop. Und warum auch nicht? Als er zur Zugabe eigene Stücke wie „Fields of Gold“ und „Message in a Bottle“ auf der Laute spielte, fügte sich das nahtlos ein.

Freunde der mittelalterlichen Musik dürften die Songs von John Dowland vielleicht schon besser gehört haben. Aber für sein Publikum, das ihn als Popsänger mag, zeigt Sting einen Weg, wie sich als Popstar in Würde altern lässt. Schließlich, das muss man sagen, sieht er mit seinen 55 Jahren immer noch unverschämt gut aus: drahtig, schlank, jungenhaft. Das jahrelange Yoga-Training hat sich offenbar ausgezahlt. Nun zelebrierte er seine Renaissance-Musik als so etwas wie Yoga für die Ohren.