DIE KRITIK DES BUNDESTAGS AN CHINA NUTZT FALSCHE FEINDBILDER
: Rechtsstaat im Aufbau

Der Zeitpunkt liegt genau richtig. Noch gestern Abend wollte der Bundestag auf Antrag von CDU, SPD, FDP und Grünen eine scharfe Kritik der chinesischen Arbeitslager verabschieden. Damit entsteht öffentlicher Druck in einer Phase, in der China aufgrund der bevorstehenden Olympischen Spiele besonders sensibel auf Menschenrechtskritik reagiert. Beweis dafür ist die schnelle Reaktion Pekings auf den Vorwurf eines „Völkermord-Olympia“, wie er mit Blick auf die chinesische Sudanpolitik geäußert wurde. Dort wehrte sich Peking bisher gegen den UN-Friedensplan für Darfur, nun will es ihn mit eigenen UN-Soldaten unterstützen.

Ganz so klar wird Peking auf die Kritik des Deutschen Bundestags nicht reagieren. Chinesische Diplomaten haben sie bereits empört zurückgewiesen. In Wirklichkeit aber ist die internationale Kritik am chinesischen Lagersystem auch in China willkommen, da der Volkskongress, das zunehmend an Bedeutung gewinnende Gesetzgebungsorgan des Landes, eine Reform der Lager derzeit intensiv diskutiert. Die Debatte läuft nicht auf eine Abschaffung der Lager, wohl aber auf ihre Integration in die Strafjustiz hinaus. Hier liegt einer der wesentlichen Kritikpunkte des Bundestages: dass China mit den Lagern bislang über Strafinstitutionen verfügt, die sich jeder Kontrolle eines Richters entziehen. Noch immer gibt es in Peking mächtige Stimmen, die das System bewahren wollen. Doch Kritik aus dem Westen hilft den Reformern.

Allerdings sollte diese Kritik falsche Feindbilder vermeiden. Chinas Polizeijustiz mit dem sowjetischen Gulag zu vergleichen, wie es die Bundestagsresolution vorsah, verkennt die Dynamik der chinesischen Rechtsentwicklung. China ist heute ein Rechtsstaat im Aufbau, belastet mit viel institutionalisiertem Unrecht aus der Vergangenheit, aber auch voller neuer Initiativen für eine Verrechtlichung der Strafjustiz, die längst in die Gerichtspraxis durchdringen. Hier wiederholt sich die Wirtschaftsdebatte. China heute noch eine „Nicht-Marktwirtschaft“ zu schimpfen, wie es die EU immer noch tut, ist realitätsferne Feindbildpropaganda – genau wie der Gulag-Vergleich. GEORG BLUME