So geil kann Demokratie sein

Das hochgelobte, lebendige Projekt „Demokratie lernen & leben“ wird gestoppt, weil der Bund keine Zuständigkeit und die Länder nicht den Willen dazu haben. 40.000 Schüler übten fünf Jahre lang zivile Umgangsformen. Jetzt macht die Gesellschaft für Demokratiepädagogik weiter – als Privatinitiative

VON CHRISTIAN FÜLLER

Sie tragen eine Schärpe, ein orange-gelbes Band aus Samt, das ihnen über der Schulter hängt. Farah, 12 Jahre alt, und Saskia, 10 Jahre, stehen auf dem Pausenhof der Franz-Schubert-Grundschule. Wenn es dann so ist wie auf den Fußballplätzen, wenn sich kleine Rudel bilden, Knäuel von Mitschülern, dann eilen die beiden jungen Damen herbei. „Meistens sagen sie Ausdrücke, spucken sich an oder schlagen sich“, erzählen die beiden Mädchen. Farah, groß und stämmig, einen Schleier um den Kopf gewunden, Saskia, eine kleine Miss Marple, die Nickelbrille auf der Nase. Sie sind Konfliktlotsen, die vermitteln helfen, wenn es kracht zwischen Mitschülern.

Die Schubert-Schule liegt in Berlin, Bezirk Neukölln, Weserstraße 12. An der Schule haben 82 Prozent der Schüler Migrationshintergrund. „Der Verlust von Erziehung in den Familien ist spürbar“, sagt der Sozialpädagoge Wolfgang Höfert. „Den Kindern fehlt eine auf Kompromiss angelegte Streitkultur.“ Um die kleine Gewalt, wie Höfert sie nennt, in friedliche Bahnen zu lenken, hat sich die Schule einiges ausgedacht. Es gibt eine Stunde soziales Lernen für die ganz Kleinen. Mit den Eltern wird interkulturelles Café betrieben. Und die Streitschlichter. „Es gibt Kinder, die früher aufeinander losgingen“, berichtet Höfert. „Heute kommen die und sagen: Wir haben Stress. Helft uns!“

170 Schulen machen mit

Die Schubert-Schule ist nicht die einzige Schule, die Demokratie übt. Mit dabei war auch das Schulzentrum Rübekamp in Bremen, die Spranger-Schule in Reutlingen, das brandenburgische Fontane-Gymansium in Rangsdorf, die hamburgische Gesamtschule Süderelbe und, und, und. 170 Schulen haben sich am Modellprojekt „Demokratie leben & lernen“ beteiligt. Fünf Jahre konnten damit Lehrstunden der Demokratie gehalten werden – im Unterricht, auf dem Schulhof, in der Schulgemeinde. Es ist daraus eine vielteilige Unterrichtsbroschüre mit praktischen Übungen entstanden („Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik“, Beltz 2007) Das ganze Projekt gab es als Schnäppchen für putzige 13 Millionen Euro. Am Wochenende wurde das Demokratieprogramm für kleine Bürger bei einem Kongress in Berlin hoch gelobt – und abgewickelt. Das Bund-Länder-Programm wird beendet. Warum?

„Weil solche Projekte immer nur auf Zeit gefördert werden“, trägt der Berliner Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall ein kümmerliches Argument vor. Der arme. Keiner der hochmögenden Minister aus der Kultusministerkonferenz hat sich getraut, der Öffentlichkeit zu sagen, dass jetzt Schluss ist mit Demokratielernen. Also muss ein Beamter die Chose ausbaden. Und ein zweites Argument anfügen, das man ihn gerne mal in einer der Demokratiestunden in Schulen vortragen ließe: Der Bund darf, so will es die Föderalismusreform, Schülern keine demokratischen Umgangsformen beibringen. Verboten, aus, vorbei. So geil kann Demokratie sein.

Zu Erinnerung: Das Modellprojekt war 2002 aufgelegt worden, weil nach den brennenden Häusern von Rostock und Solingen nicht nur Forschernasen merkten, dass etwas faul ist im demokratischen Untergrund. Brutalitätsproblem nennt es der ehemalige Max-Planck-Direktor, Wolfgang Edelstein, der das Projekt mit anderen durchgekämpft hat. Heute ist es nötiger denn je, weiß Edelstein. „Der Demokratie laufen die Bürger davon.“ Im Osten gehen die jungen, perspektivlosen weißen Männer verloren, in den Meltingpots der Innenstädte sind es die muslimischen Halbstarken. „Wir haben nur die Schule, um bei den jungen Menschen einen demokratischen Habitus zu entwickeln.“ So sagt es nicht nur Edelstein, das ist Sonntagsredenkonsens. Wieso darf dann ein gepriesenes Modellprojekt nicht mehr helfen?

Es muss weitergehen

Es gibt – so das operative Konzept gegen Gewalt, die aus dem Verlust demokratischer Kultur rührt – drei Gegenmaßnahmen: erstens polizeiliche Repression, zweitens lokale Interventionen, drittens pädagogische Prävention. Nummer eins bleibt immer. Nummer zwei wird gerade in Form von zivilgesellschaftlichen Antigewaltprojekten vom zuständigen Bundesfamilienministerium eingedampft. Und Nummer drei lässt man auslaufen, weil der Bund nicht mehr darf und die Länder nicht können oder wollen.

Wolfgang Edelstein schüttelt sanft den Kopf. „Es muss weitergehen“, sagt er tapfer, gründet einen Verein, eine Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik, um Demokratieberater auszubilden. Schulrat Pokall räuspert sich und sagt: „Wir haben großes Interesse daran.“ Die Kultusministerkonferenz beginnt mit Beratungen. Auch das eine Lehrstunde der Demokratie.

In der Schubert-Schule rappen die Teenies: „Gewalt ist nur ein Notausgang / meist kehrt sie zurück wie ein Bumerang / Nur wer fast gar nichts weiß / glaubt an Gangstas Paradise.“

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