„Es geht um Inhalte statt Gewalt“

Die Durchsuchungen könnten die militanten G-8-Kritiker stärken, sagt der Bewegungsforscher Ansgar Klein

ANSGAR KLEIN, 48, ist einer der Herausgeber des Journals Neue soziale Bewegungen und Sprecher des Arbeitskreises Soziale Bewegungen der Vereinigung für Politische Wissenschaft.

taz: Herr Klein, werden die Razzien die G-8-Kritiker einschüchtern?

Ansgar Klein: Nein, das würde nur gelingen, wenn solche Polizeiaktionen in einem autoritären Regime wie Russland stattfänden. Dort ist die staatliche Gewalt nicht durch den Rechtsstaat eingehegt, so dass Aktivisten um ihr leibliches Wohl fürchten müssen. In Deutschland wissen die Protestierer, dass sie demokratische Rechte haben und reagieren dementsprechend anders, wenn sie diese Rechte verletzt sehen. Betroffene und deren Unterstützer könnten sich durchaus provoziert fühlen und die Razzia eine eskalierende Wirkung entfalten.

Wie könnte das aussehen?

Das ist Spekulation. Das herausragende Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die Polizei nicht verantwortungsvoll mit dem Gewaltmonopol des Staates umgeht, haben uns die Ereignisse des G-8-Gipfels in Genua 2001 gezeigt. Das harte und rechtsstaatlich oft fragwürdige Vorgehen der Polizei hat damals zur Gewalteskalation entscheidend beigetragen.

Das Auftreten der Sicherheitskräfte in Heiligendamm ist gelinde gesagt martialisch. Es werden sogar US-Kampfschiffe vor dem G-8-Tagungsort kreuzen. Müssen wir uns auf ein zweites Genua einrichten?

Nein, schließlich gibt es auch bei anderen Großereignissen wie bei der WM große Sicherheitsaufgebote, ohne dass dort gleich Krawalle ausbrechen. Wenn dieses große Aufgebot aber in Kombination mit Provokationen der Polizei steht, dann erhöht das die Chancen einer Eskalation erheblich.

Bisher war der gewaltlose Protest Konsens bei den G-8-Kritikern. Gewinnen jetzt die Militanten an Stärke?

Das ist nicht auszuschließen, aber die gewaltbereiten Akteure werden nie eine große Zahl innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung ausmachen. Das liegt daran, dass diese in höchstem Maße inhaltlich ausgerichtet ist. Die Aktivisten haben einfach kein Interesse an Straßenschlachten und eine auf Gewalt beschränkte Medienberichterstattung.

Warum ist es dann oft so schwer, selbst aus dem gemäßigten Spektrum distanzierende Äußerungen zu gewalttätigen Protesten zu erhalten?

Es geht um internationalen Protest. Viele Organisationen aus Ländern mit autoritären Staatsformen erleben Gewalt auch von staatlicher Seite und reagieren mit gleicher Münze. Deshalb sind Distanzierungen von Gewalt für ihre Bündnispartner hier schwierig, denn so etwas kann als Schwächung der gesamten Bewegung empfunden werden. Fakt ist aber: Für jemanden, der mit Inhalten wahrgenommen werden will, ist Gewalt eine kommunikative Störung.

Werden die Razzien dazu beitragen, dass die G-8-Kritiker mehr Menschen für den Protest in Heiligendamm mobilisieren können?

Das kommt auf die Ermittlungsergebnisse an. Derzeit wird der Polizeieinsatz bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein als überzogen empfunden. Und das wiederum könnte die Leute mobilisieren, die sich große Sorgen wegen der Verschärfung der Sicherheitsdebatte und der damit verbundenen Gefährdung der Bürgerrechte machen.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ