Streikende Telefone

AUS BERLIN RICHARD ROTHER

Bei der Telekom stehen die Zeichen auf Streik. Überraschend deutlich votierten die betroffenen Beschäftigten für den Arbeitskampf: 96,5 Prozent stimmten in der Urabstimmung dafür, wie die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di gestern bekannt gab. „Wir werden jetzt in den Arbeitskampf gehen und Druck machen“, so Ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder. Schon heute beginnt in mehreren Bundesländern der Streik. Es ist der erste seit der Privatisierung 1995.

Die Telekom plant, rund 50.000 Arbeitsplätze auszulagern – vor allem in den Bereichen technischer Kundendienst, Kabelnetze und Call Center. Die betroffenen Beschäftigten sollen länger arbeiten und deutlich weniger verdienen. Zudem sollen Pausenzeiten gekürzt und Zeiten für Wege zum Kunden nicht mehr als Arbeitszeit gewertet werden. Alle Maßnahmen zusammengenommen, bedeuten Lohneinbußen von bis zu 40 Prozent, rechnen Gewerkschafter. Die Telekom begründet ihre Auslagerungspläne mit den im Branchenvergleich höheren Kosten.

Schröder appellierte an das Management, seine „fragwürdigen“ Pläne zu überdenken. Diese seien nicht geeignet, den Service zu verbessern und den Kundenschwund der Telekom zu stoppen. Der Streik sei das letzte Mittel, um die Forderungen der Gewerkschaft nach einem umfassenden Schutz der Beschäftigten durchzusetzen.

Es sei nicht vorrangiges Ziel, die Kunden der Telekom zu bestreiken, sagte Ver.di-Streikleiter Ado Wilhelm. Allerdings könnten sie die Auswirkungen zu spüren kriegen. So könnten etwa die Störungsbeseitigung oder die Neueinrichtung von Anschlüssen beeinträchtigt werden. Gefährdet sein könnte auch eine reibungslose Übertragung des G-8-Gipfels Anfang Juni in Heiligendamm, so Wilhelm. Die beiden Niederlassungen, die für den Aufbau der Telekommunikations-Infrastruktur zuständig seien, würden in den Streik einbezogen.

Auch in Berlin und Brandenburg sind die Telekom-Beschäftigten für den Streik gerüstet. Ver.di-Telekomexperte Mike Döding: „Die Kollegen sind heiß darauf, das umzusetzen, was sie bei der Urabstimmung auf dem Zettel angekreuzt haben.“ Im Zweifelsfall könne die Auseinandersetzung Wochen oder sogar Monate dauern. „Wir sind für alles gerüstet.“

Die Streiks sollen vor allem die Großkunden der Telekom treffen, weil hier der Druck am größten ist und Ver.di die Privatkunden schonen will. Banken und Versicherungen müssen also damit rechnen, dass neue Kommunikationsanlagen nicht installiert und Störungen nicht beseitigt werden. Indirekt könnte das auch zu Problemen bei den Kunden dieser Firmen führen. Auch die Privatkunden der Telekom dürften den Streik zu spüren kriegen, auch wenn die Telekom mit Beamten und Streikbrechern versucht, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Sogar die Kunden von Telekomkonkurrenten im Festnetz könnten unter Störungen leiden. Fast alle Konkurrenten sind auf Leitungen der Telekom angewiesen – kommt bei einem Problem kein Techniker, bleibt die Leitung tot.

Politische Unterstützung bekamen die Streikenden gestern von der Linksfraktion im Bundestag. Deren gewerkschaftspolitischer Sprecher Werner Dreibus sagte. „Jetzt können die Beschäftigten der Telekom zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen.“ Der Bund als Eigentümer hätte seinen Einfluss im Aufsichtsrat geltend machen können, um den Streik und den Einsatz von Streikbrechern zu verhindern.

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