HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: An den Deichen

Die Gärten sind wie in Schach gehalten, mit einem Lineal, einem Gartenlineal. Und mit dem Rasenmäher, alle zwei Tage übers widerspenstige Gras gezogen wie bei anderen der Rasierer übers Bein- oder Gesichtshaar. Zwischen dem Rasen und den Blumen: Mäuerchen, alles eine Sorte, gleichmäßig gesetzt, auf dass man ja nicht auf dumme Gedanken kommt.

Auch das gibt es hier, zwischen Kirschen und Äpfeln und Birnen, auf fruchtbarem Boden, wo heute kein Einheimischer zu wachsen scheint, bloß Fahrradfahrer. Und dann, neben den gekämmten Vorgärten auf dem Deich, auf der Wiese vor dem Anleger, an dem das Anlegen streng verboten ist: drei nackte Männer.

Wir sehen sie schon von weitem, meine Mutter rät mir den Blick zu senken, und aus gesenktem Blickwinkel sehe ich die drei beim grölenden Schwanzvergleich, des einen Mannes Scham einer ähnlichen Prozedur unterzogen wie die Vordergärten. Eine Videokamera haben sie auch, Youtube-Seher, harret der kommenden Freuden!

Was immer ich über dieses Land zu wissen geglaubt habe, es ist dahin. Über seine Moral, über Emanzipation und die selbstverständliche sexuelle Freiheit. Um hundert Jahre zurückgesetzt fühle ich mich, während die Freunde der drei Männer vom Deich heruntersehen auf die zwei Frauen, die sich nicht trauen, den Blick zu heben.