: Kein sanftes Ende zu Hause
NACHRUF Ex-MDR-Intendant Udo Reiter war ein Macher – auch im Kampf um Selbstbestimmung
Jeder, der Udo Reiters Autobiografie „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“ gelesen hat, wird wohl den gleichen Gedanken gehabt haben, als die Nachricht kam, dass der langjährige frühere Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) tot auf seiner Terrasse in Gottscheina bei Leipzig gefunden wurde.
Schon vor Jahren hatte Reiter seinen Suizid geplant. Damals, nach seinem schweren Autounfall im Jahr 1966. Reiter lag lange im Krankenhaus. Er war querschnittsgelähmt. Doch dann lebte er sein Leben weiter – und wie. Er ging zum Hörfunk des BR, wurde dort Chefredakteur und stieg 1986 gar zum Hörfunkdirektor auf. Und dann machte er Anfang der 90er Jahre rüber. Im Westen schüttelten die alten Kollegen den Kopf, in Leipzig nahmen sie ihn an: als Mischung aus Besserwessi und Behindertem.
Doch Reiter blieb. Und blieb. Und blieb. Er baute den MDR auf – und zockte dabei von Beginn an. „Sagen wir lieber: Ich habe eine spielerische Ader“, diktierte Reiter im vergangenen Jahr an seinem Esstisch. Dabei tat er genau das: Er zockte mit der Kohle, die er zum Aufbau der öffentlich-rechtlichen Dreiländeranstalt hatte. 560 Millionen Mark waren einfach zu wenig. Also investierte er. „Wir waren ja unglaublich erfolgreich. Mit Ausnahme dieser Peanuts da in Ecuador.“ Die Peanuts waren 2,6 Millionen Mark Verlust, die im Jahr 2000 bekannt wurden.
Doch Reiter war damals fast unantastbar. Er machte aus der einzigen ausschließlich in den neuen Bundesländern beheimateten Rundfunkanstalt das quotenstärkste Dritte Fernsehprogramm der Republik. Der Bayer Reiter versorgte die Zuschauerinnen und Zuschauer in den drei Ländern mit einem ostdeutschen „Mia san mia“. Das kam dort an. Und stieß anderswo auf Verachtung, wohl nicht zuletzt aus Neid. Und doch kopierten alle anderen sein Erfolgsrezept.
Reiter blieb, doch sein Rückhalt bröckelte. Die leidigen Skandale: Zuletzt unterschlug ein Herstellungsleiter des Kinderkanals über fünf Jahre hinweg 8,2 Millionen Euro. Am 26. Mai 2011 dankte Reiter als MDR-Intendant ab. Er hatte so etwas wie ein Lebenswerk und er hat es vollendet. Bei seinem ersten geplanten Suizid war „von irgendwoher die Vitalität durchgebrochen“, erzählte Reiter. Doch für all diejenigen, die diese Vitalität nicht mehr spürten, forderte er Hilfe. „Niemand soll gezwungen sein, gegen seinen Willen ein Leben weiterzuführen, das er nicht mehr leben will“, schrieb er Anfang dieses Jahres in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung. „Ich möchte bei mir zu Hause, wo ich gelebt habe und glücklich war, einen Cocktail einnehmen, der gut schmeckt und mich dann sanft einschlafen lässt.“ Er hätte sich dafür ärztliche Hilfe gewünscht, doch die wurde ihm in Deutschland – bei ihm zu Hause – verwehrt. JÜRN KRUSE