Das Aus für die Sonderschulen

Die Bildungsbehörde hat eine Idee: Zwei Sonderschulen verzichten auf 1. Klassen und werden Förderzentren für 41 Grundschulen. Auf den Pilotversuch soll flächendeckende Ausweitung folgen

VON KAIJA KUTTER

Eine kleine Sensation hat Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) in der vergangenen Woche angekündigt: Die beiden Förderschulen Bindfeldweg und Anne-Frank-Schule werden ab dem neuen Schuljahr keine 1. Klassen mehr einrichten. Stattdessen sollen sie „Integrative Förderzentren“ für 41 benachbarte Grundschulen sein. Nach Ablauf einer zweijährigen Pilotphase könnte der Versuch in die Fläche gehen. Auf diese Weise, so Dinges-Dierig, könne „an allen Hamburger Grundschulen ein integratives Förderangebot gemacht werden“.

An dem Modell gab und gibt es Kritik. So schreibt die Hamburger Lehrergewerkschaft GEW, dass es die Schullandschaft „dramatisch“ verändern werde. Und sie setzt ein eigenes Modell dagegen: die Ausweitung der „Integrativen Regelklassen“ (IR) von heute 35 auf künftig 83 Schulstandorte. IR-Schulen sind sozusagen das Gegenmodell zur Sonderschule. Ausgewählt nach sozialen Kriterien, wurden sie in den frühen 90er Jahren mit Sonderpädagogen und Erziehern ausgestattet, die vor Ort mit den Lehrern im Team arbeiten und die Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarf zur Seite stehen. Das soll eine Abschulung an die Sonderschule überflüssig machen.

Die CDU liebäugelt seit der Regierungsübernahme im Jahr 2001 mit einer Umverteilung dieser Stellen auf alle Schulen. Im Herbst 2004 beauftragte sie die Bildungsbehörde, ein Konzept zu entwickeln, bei dem die Stellen der IR-Schulen zusammen mit den Stellen der 21 Förderschulen und sechs Sprachheilschulen an zehn „Förderzentren“ gebündelt werden, von denen aus die Lehrer ausschwärmen, um zu fördern.

Das führte zu einem Aufschrei an den betroffenen IR-Schulen. Herbe Kritik seinerzeit auch vom Fachbereich Erziehungswissenschaften: Der Lehrbeauftragte Klaus Koch warnte vor einer „Köfferchenpädagogik“ und hohen Reibungsverlusten. So gehe wertvolle Zeit verloren für die Fahrten von Schule zu Schule und die Diagnose, welches Kind gefördert werden müsse. Außerdem zeigten Erfahrungen aus Hessen und dem Saarland, dass Förderzentren nur zu einer Verfestigung der Selektion führten. Dort nämlich gab es nebenher immer noch „stationäre Gruppen“ an den Förderzentren, die den alten Sonderschulklassen ähnelten.

Auch das Hamburger Projekt sieht solche Gruppen vor – für eine „kleine Anzahl von Kindern“, für die sich das Umfeld einer großen Grundschulklasse „eher belastend als anregend“ auswirkt, so die Behörde. Die Kinder sollen weiterhin zu ihrer Grundschule gehören und „abhängig von ihrer Lernentwicklung“ wieder dorthin zurückkehren können. Verstetigt sich so eine Gruppe, wird die Sonderschule gar nicht aufgelöst.

Die GEW-Landesvorständlerin Helga Fasshauer, selbst IR-Lehrerin, befürchtet, dass die in diesem Projekt bereitgestellten Ressourcen nicht ausreichen. Die Schule werde vor die schwierige Entscheidung gestellt, welches Kind gefördert wird und welches nicht. Die Rede ist auch von einem „Ressourcen-Etikettierungs-Dilemma“: Um eine Förderung zu erhalten, muss die Grundschule dem Kind einen Mangel attestieren.

Die GEW hat nun einen Alternativvorschlag erarbeitet, mit dem kostenneutral ein flächendeckendes Angebot an IR-Schulen geschaffen werden könnte. Das Charmante daran: Auch die GEW-Fachgruppe der Sonderschullehrer stimmt der Idee zu, alle Primarstufen der 27 Förder- und Sprachheilschulen aufzulösen und die entsprechenden 230 Planstellen in den IR-Ausbau zu stecken. So könnten bedürftige Grundschulen Sonderschullehrer vor Ort ins Team bekommen. Und es blieben 41 Stellen, um weitere Schulen zu versorgen.

Ganz ohne Chance ist der Plan nicht: Die SPD hat ihn sich auf die Fahnen geschrieben – und will ihn „im Falle eines Wahlsiegs“ umsetzen“, so der Abgeordnete Wilfried Buss.