Des einen Freud, des andern Leid

INDUSTRIE Wie die Wirtschaft auf die Energiewende reagiert

BERLIN taz | Ähnlich wie in der Politik haben sich auch in der deutschen Wirtschaft die Positionen verschoben: Wer noch im vergangenen Jahr die Laufzeitverlängerung begrüßt hat, akzeptiert jetzt den Ausstieg, warnt aber vor den Gefahren eines überhasteten Vorgehens. Wer hingegen schon damals eine Energiewende wollte, verweist jetzt auf die großen Chancen.

Exemplarisch für die Zweifler steht etwa Hans-Peter Keitel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der im Herbst eine Kampagne für Atomkraft startete. Am Montag sagte er, dass der BDI den Atomausstieg unterstütze, weil er eben gesellschaftlicher Konsens sei. Er mahnte lediglich zur Verantwortung gegenüber den Unternehmen und davor, den Wohlstand nicht zu gefährden.

Die Position des BDI verwundert nicht. Schließlich sind im Verband zwar 38 verschiedene Branchen zusammengeschlossen, besonderen Einfluss üben jedoch die energieintensive Industrie wie Stahl- oder Chemiekonzerne aus. Hier leidet man zwar nicht wie oft kolportiert unter hohen Strompreisen – schließlich sind viele Unternehmen von der Umlage für erneuerbare Energien befreit, die jeder private Haushalt zu zahlen hat. Es geht eher darum, diese Privilegien zu verteidigen.

Andere Zweige der Industrie reagieren gegenteilig: Der mächtige Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer etwa. Der energiepolitische Sprecher Thorsten Herdan sprach im Branchenblatt VDI-Nachrichten von der Energiewende als Chance. Die deutschen Maschinenbauer könnten „ihr Vormachtstellung weiter ausbauen“. Der Verband der IT-Industrie, Bitkom, wittert ein Milliardengeschäft, wenn es darum geht, intelligente Stromnetze aufzubauen. Sie sollen helfen, den Stromverbrauch den schwankenden regenerativen Energien teilweise anzugleichen. Ebenso erfreut dürfte die Bauindustrie und das Handwerk sein: Sie werden von den auf 1,5 Milliarden Euro im Jahr aufgestockten Fördermitteln für energieeffizientes Bauern und Sanieren profitieren. Auch die üppige Förderung für regenerative Forschungsprojekte dürfte die Industrie erfreuen. Insgesamt profitierte die Wirtschaft im Jahr 2010 von 111,9 Milliarden Euro an Subventionen.

Verluste, die sich direkt auf die Bilanz durchschlagen, machen momentan im Prinzip nur die Betreiber solcher Atomkraftwerke, die längst finanziert sind und durchgehend Gewinne abwerfen. Folgerichtig bekräftigte AKW-Betreiber Eon am Montag, dass man gegen die Brennelementesteuer der Regierung klagen werde. Mit dieser Steuer soll ein Teil der Gewinne von Atomkraftwerken abgeschöpft werden. Eon werde die Vermögensverluste zusammenrechnen und der Bundesregierung vorlegen, sagte ein Firmensprecher. Eine Klage behält sich auch RWE vor.

INGO ARZT