Fünfjahresplan mit Livemusik

Einst wurde das Arbeitskollektiv als neue Kunstform angestrebt, heute kommt die Kunst eher als Retter verlorener Arbeit ins Spiel. Was aus der Arbeit wurde und wie das Kino auf ihr Verschwinden reagiert, verfolgen die „Work in Progress“-Programme im Eiszeit, Krokodil und im Regenbogenkino

VON BERT REBHANDL

In Yorkshire ist ein Zug entgleist, in Frankreich wird ein alter Mann entlassen: Das sind zwei Unterbrechungen des alltäglichen Arbeitslebens, gegen die es in der verwalteten Gesellschaft kein Rezept gibt; und zwei Vorfälle, anhand derer das Kino vom Ende der Arbeit berichtet. In „The Navigators“ von Ken Loach wird die Arbeiterklasse von der Liberalisierung des britischen Eisenbahnsystems unmittelbar betroffen. „Ressources Humaines“ von Laurent Cantet erzählt von einer Familie, in der Vater und Sohn plötzlich auf unterschiedlichen Seiten des Arbeitskampfes stehen. Gemeinsam ist allen Beteiligten, dass sie improvisieren müssen, um nicht auch noch im Privatleben zu scheitern.

In der neoliberalen Gesellschaft ist Arbeit nicht mehr nur einfach die geläufigste Form des Geldverdienens. Arbeit ist das Lebensprinzip selbst geworden: Ein „Work in Progress“ sind wir alle. Davon handelt die gleichnamige Filmschau in den drei Berliner Kinos Eiszeit, Regenbogen und Krokodil. Sie ist Teil einer längeren Untersuchung zur Arbeit der Zukunft, die im Rahmen der Kulturstiftung des Bundes durchgeführt wird und zu der die Freunde der deutschen Kinemathek immer wieder das Wissen des Kinos beisteuern. In der kommenden Woche sind im Eiszeit vor allem neuere Spiel- und Dokumentarfilme zu sehen, darunter eben „Ressources Humaines“ (als Eröffnungsfilm) und „The Navigators“. Das Kino Regenbogen versammelt eine Menge von Beiträgen, die belegen, dass Arbeit nicht nur mit Entfremdung, sondern auch mit freier und alternativer Selbstverwirklichung zu tun hat. Im Krokodil gibt es als historischen Kommentar zu diesen Themen eine sehr interessante Reihe mit sowjetischen Filmen.

Weil das Programm an allen drei Orten so differenziert ist, sollen hier exemplarisch drei Themen herausgegriffen werden. Im Eiszeit macht es Sinn, sich die Filme von Ken Loach und Laurent Cantent wie zwei alternative Entwürfe anzusehen. „The Navigators“ und „Ressources Humaines“ vertreten jeweils unterschiedliche Auffassungen von Gesellschaft. Ken Loach hält an einem traditionellen linken Optimismus fest, dessen Rückseite das Misstrauen gegen jene Institutionen ist, die den Arbeitern ihre Chancen beschneiden. Cantet hingegen sieht durchaus den Wohlstand, den die Mittelklasse in Mitteleuropa inzwischen erworben hat. Er diagnostiziert aber, ähnlich wie der Soziologe Richard Sennett, einen Verlust an individueller Geschichte.

Der Sohn, der als Betriebsberater in die Fabrik kommt, in der sein Vater arbeitet, sieht die Sache anfangs vor allem abstrakt. Er begreift gar nicht so richtig, dass seine Vorschläge zur Rationalisierung am anderen Ende ganze Lebensgeschichten zerrütten können. Er muss erst wieder lernen, die Seite zu wechseln, das heißt, die Arbeit als gesellschaftliches „Work in Progress“ zu sehen, und nicht einfach als Kostenfaktor, hinter dem keine Person steht.

Im Regenbogen Kino lohnt ein Besuch des Kurzfilmprogramms am 16. März, in dem „No“ von der Künstlerin Sharon Lockhart in langen, unbewegten Einstellungen an die Ursprünge der Arbeit zurückführt: Ein japanischer Bauer und seine Frau müssen das frisch gemähte Heu auf einem Feld umwenden und ausstreuen. Mit methodischer Gründlichkeit erledigen sie einen Sektor nach dem anderen, nur mit einer Gabel, ohne Zuhilfenahme mechanischer Geräte. Die Rückführung von Arbeit auf einfache Verrichtungen in der Natur verleiht der Tätigkeit eine Qualität jenseits der bloßen Produktion.

In demselben Programm läuft übrigens auch „Bartleby“ von Judith Hopf und Stephan Geene, ein kleiner Klassiker des Berliner Underground-Theorie-Kinos. Er ist entstanden im Umfeld der Buchhandlung b-books, die einerseits selbst Modell für die flexible Welt fließender Arbeitszeiten und flacher Hierarchien ist und diese andererseits kritisch reflektieren will.

Das Krokodil schließlich zeigt mit Dsiga Wertows Revolutionsklassiker „Simfonija Donbassa“ („Entuziazm“), wie die Arbeit im Kollektiv einmal als die neue Kunstform selbst verstanden wurde. Der Fünfjahresplan verläuft über die Rohstoffgewinnung in den Schächten der ukrainischen Bergwerke zur Eisen- und Stahlherstellung in den Hochöfen und endet mit einer Erntesequenz wieder in der Natur. „Entuziazm“ war Wertows erster Tonfilm, im Krokodil gibt es dazu Livemusik, was ein wenig verwundert – aber auch so wird freie, selbstbestimmte Arbeit geschaffen.

„Work in Progress“, heute Start im Eiszeit, „Ressources Humaines“, 20 Uhr