GANZ SCHÖN FANCY IST ES IN KREUZBERG 61, ELVIS COSTELLO SOLL EH LANGWEILIG GEWESEN SEIN, SIEMENSSTÄDTER WITTERN FAUSTISCHE VOYEURE, UND IM SHERIFF TEDDY WAR WAS LOS
: Ice motherfuckin’ T’s Return

VON JENNI ZYLKA

Das erste Filmfest Potsdam! Warum auch nicht, fragt man da, beziehungsweise: Warum? Aber steht es uns zu, Tatendrang zu bekritteln? Initiative zu verurteilen? Uns darüber lustig zu machen, dass der Auftakt am Dienstagabend vielleicht – besucher- und ablaufmäßig – noch nicht ganz so ein Knaller war? Trotz des hochgehängten „Serienschwerpunkts“, der als solcher allein leider kein Alleinstellungsmerkmal darstellt, denn zwischenzeitlich haben fast alle Filmfeste auf der großen weiten Welt das mit den Serien und deren unbestreitbaren Qualitäten bemerkt. Also: Alles Gute, kleines Filmfest, herzlichsten Glückwunsch an Annekatrin Hendel für „Anderson“, den Film mit dem „gesellschaftlich höchsten Mehrwert“, und im nächsten Jahr gibt’s auf der Eröffnungsparty bestimmt ein paar Mehrwert-Stullen für umme (falls euch das nicht zu fancy ist). Die Studi-Skaband war jedenfalls echt süß, so was würde Cannes auch gut stehen.

Aber wo wir gerade von „fancy“ reden, dem Wort mit diesen vielen Bedeutungen: In unserem fancy Stadtteil Kreuzberg 61, das neulich noch nachts die Bürgersteige – bis auf den Abschnitt vor der Videothek – hochrollte, sodass erschreckte Ü50-LehrerInnen nach einem gemütlichen Restaurantbesuch um 22 Uhr über die dunkle Straße nach Hause hasten mussten, finden sich inzwischen Bars, in denen man freitagabends Alien Sex Fiend hören kann! „I think I need some EST or a trip to the moon …“ – herrlich, dazu einen Dark & Stormy (Drink) im Ernst (Bar), und plötzlich ärgerte man sich auch nicht mehr darüber, am vorherigen Abend nicht Elvis Costello angeguckt zu haben: Das war angeblich eh langweilig und gar nicht charmant.

Stuckrosette wie Müslischale

Samstagnachmittag ging es nach Siemensstadt, um dort gefühlte 300 Hot-Wheels-Spielzeugauto-Schienen abzuholen, die für vier Euro Taschengeld bei einem privaten Verkäufer erstanden worden waren. Der Versuch, uns bei der Übergabe in den denkmalgeschützten Walter-Gropius-Zeilenbau hineinzuschmuggeln, um uns aus rein architektonischem Interesse ein bisschen umzugucken, schlug leider fehl, wahrscheinlich haben die SiemensstädterInnen faustische Voyeure längst satt. Kann man ja auch verstehen. Aber wenn diese komischen Häuser doch so schick, also fancy sind … Und man doch ansonsten den ganzen Tag in blöden Altbauten herumhängen muss, in denen die zwanzigfach überpinselte Stuckrosette an der Decke aussieht wie eine umgedrehte, gefüllte Müslischale …

Die Samstagnacht begann bei der „10 Jahre Sheriff Teddy“-Party, mit zehn Prozent auf alle Drinks, dafür fahren wir SparfüchsInnen gern nach Friedrichshain! Zudem machte die Bar auf in umliegenden Bäckereien ausliegenden Flyern einst Werbung mit dem Slogan „Sheriff Teddy – meistens nix los“, und allein das qualifiziert sie zur Kiez-Lieblingsbar, auch wenn am nämlichen Samstagabend keinesfalls „nix“, sondern im Gegenteil der Bär los war: Tolle Tollen, DJ Lobotomy, und Betty Page an der Wand, die lächelnd und anmutig in knappen Bikinis Betten macht. Aber auch andere Stadtteile haben hübsche Slogans. Wir fuhren nämlich später ins „Freudenhaus“ in Mitte, wo die Bad-Kleinen-Posse („Youth can kiss my ass!“) das Wochenende musikalisch so spektakulär zu Ende gingen ließ, wie es begann: Eine selbst gefüllte und dekorierte Jukebox spielte Kabinettstückchen von unseren Lieblingen Gun Club, den Cramps, den Smiths und – ehrlich! – Body Count! „On the bass I got my main muthafucka Mooseman. On the lead guitars I got my nigga Earnie C. And I’m Ice motherfuckin’ T, bitch!“ Hui, wie uns pazifistische Whiteys die politische Unkorrektheit des bitterbösen Ice-T damals erschauern ließ. Irgendwie auch fancy.