Bedingt abwehrbereit

FUSSBALL Vor dem EM-Quali-Spiel gegen Irland erstickt Bundestrainer Joachim Löw sämtliche Grundsatzdebatten und stärkt seine bisweilen labilen Außenverteidiger

„Ich gebe ihnen viel Zeit“

BUNDESTRAINER JOACHIM LÖW HAT VIEL GEDULD MIT SEINEN DEFENSIVKRÄFTEN ERIK DURM UND ANTONIO RÜDIGER

AUS ESSEN FRANK HELLMANN

Die Beobachtungsposten waren rund um den Bundestrainer postiert. Joachim Löw hatte sich am Montag mal wieder in ein Autohaus zum Verhör begeben, doch die Räumlichkeit in der Essener Innenstadt wirkte zwar hell und einladend, aber der lichtdurchflutete erste Stock bot auch seine Tücken: Hinter dem Pressepodium lugte Laufkundschaft dem obersten Fußballlehrer des Landes in den Nacken. Immerhin: Einige klatschten beim Erscheinen des 54-Jährigen.

Es ist nicht sicher, ob es den heute auch nach dem EM-Qualifikationsspiel gegen Irland (20.45 Uhr/live RTL) in Gelsenkirchen gibt, wo die deutsche Nationalmannschaft einen Fehlstart vermeiden will. „Wut ist das falsche Wort“, sagte Löw zur Ausgangslage, aber es gebe den Vorsatz, „unbedingt drei Punkte einfahren zu wollen.“ Dummerweise ist nun der nächste tapfere Held aus dem Finale von Rio de Janeiro heimgeschickt worden: Der an einer Magen-Darm-Grippe leidende Christoph Kramer.

Löw muss also auch noch sein ohnehin ausgedünntes zentrales Mittelfeld neu formieren – wohl mit dem Schalker Julian Draxler. Der wäre schon in Warschau eine Option für die Startelf gewesen, wenn der 21-Jährige nicht selbst beim Abschlusstraining mitgeteilt hätte, „dass ich körperlich da nicht auf der Höhe war“. Jetzt sei alles wieder gut.

Was nicht für die Position der deutschen Außenverteidiger gilt. Speziell Erik Durm hat so schlechte Noten für seinen misslungenen Auftritt beim 0:2 gegen Polen erhalten, dass viele nach einem Wechsel verlangen – nicht aber Löw. „Es war klar, dass es nicht möglich ist, einen Weltklassespieler wie Lahm nach mehr als zehn Jahren in ein paar Wochen zu ersetzen – diese Träume müssen wir uns abschminken.“ Statt Panikmache hielt Löw ein Plädoyer für seine Auserwählten: Durm, 22, besitze für links hinten „Ausdauer, Schnelligkeit und spielerische Klasse“, Rüdiger, 21, für rechts „körperliche Präsenz, Schnelligkeit und Zweikampfstärke“. Ergo: Das Duo darf Fehler machen. „Beiden geben wir Zeit.“

Löw schloss kategorisch aus, dass Kandidaten wie Dennis Aogo oder Marcell Jansen unter seiner Ägide noch einmal ein Thema werden. „Sie spielen für unsere Planungen für 2016 keine Rolle.“ Fakt ist auch, dass die DFB-Nachwuchsförderung auf den Außenbahnen an seine Grenzen stößt. Nicht nur Löw hat festgestellt, dass die guten Fußballer im Juniorenbereich „alle lieber im Mittelfeld auf die Acht oder Zehn gestellt werden.“ Ein seit vielen Jahren beklagtes Dilemma, das auch DFB-Sportdirektor Hansi Flick nicht schnell lösen kann. Löw glaubt gleichwohl: „Eine Problematik sehe ich trotzdem keine große.“

Grundsätzliche Zweifel waren noch nie Löws Sache; den Begriff „Baustelle“ mag er so wenig wie den des „Befreiungsschlags“. Wenn es heißt, Fußball-Deutschland leide unter einem Stürmermangel, entgegnet Löw: „Trotzdem schießen wir in der Qualifikation die meisten Tore.“ Und wenn beklagt werde, die Abwehr sei nicht dicht, „bekommen wir bei einer WM die wenigsten Gegentore.“ Will heißen: Aufregung drosseln, cool bleiben.

Der Bundestrainer hat sich am Sonntagabend statt dem blutigen „Tatort“ in der ARD lieber in voller Länge noch einmal eine Aufzeichnung der Polen-Partie angesehen und fand den Streifen gut, nur die Torausbeute nicht so. Mit Irland wartet dummerweise ein Gegner, den er als Kopie der Polen sieht. „Man kann fast eine Schablone darauf legen.“ Dass Team um den schlitzohrigen Kapitän Robbie Keane sei nicht nur wahnsinnig kampfstark, sondern werde ähnlich tief in seiner Hälfte lauern.

Offenbar ist das Interesse der zahlenden Zuschauer an solch einem Geduldsspiel nicht so groß wie gedacht. Von den 54.000 zu Verfügung stehenden Karten sind mehr als 4.000 noch nicht verkauft. Die königsblaue Identifikationsfigur Draxler hat dafür aber eine logische Erklärung: „Vielleicht ist es auf Schalke gerade interessanter, das Training unter Roberto Di Matteo zu gucken.“