Jazz-Trompeter Wülker vermarktet sich selbst

Das erfolgreiche neue Album „Safely Falling“ hat er mit seinem eigenen Label veröffentlicht. Eine staatlich geförderte Gründer-Etage in Hamburg macht es möglich. Der Acid-Jazz wies ihm den Weg in eine neue Welt. Seine Tournee beginnt morgen in Hannover

Ich treffe Nils Wülker beim Portugiesen in St. Pauli. Hier trinkt er gerne mal einen Galão mit seinen Kollegen aus dem Karostar. Das ist ein klinkerroter Bürobau, den Hamburgs Stadtentwicklungsgesellschaft STEG neben den Alten Schlachthof gebaut hat – mit EU-Förderung und Unterstützung durch die Wirtschaftsbehörde: bezahlbarer Büroraum für die Promo-Agenturen, Grafikstudios und freien Labels, die Hamburg noch immer als Musikstadt interessant machen, obwohl der Branchenriese Universal im Taumel der Jahrtausendwende nach Berlin gezogen ist.

Nils Wülker ging den umgekehrten Weg. Aus Berlin kam er nach Hamburg und gründete seine eigene Plattenfirma „eartreat music“. Im Karostar, mitten im Szene-Dreieck zwischen Karolinenviertel, Schanze und Reeperbahn, hat er eins der Studios bezogen. Hier finden sich zwar keine ausladenden Mischpulte und ledernen Produzentensessel, aber hinter Schallschutzwänden kann er an Computer und E-Piano professionell arbeiten, neue Stücke schreiben und einzelne Spuren als Solist einspielen. Der knapp Dreißigjährige wird gerne als „neue Trompetenhoffnung am deutschen Jazzhimmel“ gefeiert, wahlweise auch als „bestaussehendster Trompeter Deutschlands,“ wobei im gleichen Atemzug der Kollege Till Brönner genannt wird, dessen Gesicht von einem weltumspannenden Musikkonzern mit viel Aufwand ins Bild gerückt wird.

Auch Nils Wülker war als Newcomer bei einem Majorlabel gestartet. Sein Debüt „High Spirits“ erschien 2001 mit großen Erwartungen bei Sony/BMG, gefolgt von dem Jazz/Ambient-Experiment „Spacenight“ für die legendäre Nachtschleife des Bayerischen Rundfunks. Doch als die MP3-Krise die Musikindustrie ins Trudeln brachte, beschloss Wülker, seine Musik nicht nur selbst zu komponieren und aufzunehmen, sondern auch selbst zu veröffentlichen. Als sein eigener Chef kann er jetzt über Werbung und Vertrieb entscheiden und Spezialdienstleister beauftragen. Auf den Erfolg von Till Brönner ist er nicht neidisch. Schon weil die Marketing-Etats sich nicht vergleichen lassen. Und seine eigenen Geschäfte gehen gut. Die Tournee mit dem neuen Album führt kreuz und quer durch Deutschland, im Sommer warten Festivals auf ihn.

Dabei war der Weg zum Jazztrompeter für Wülker nicht vorgezeichnet. Als der Acid Jazz mit Dancefloor-Hits wie „Cantaloop Island“ das Ende der 80er Jahre einläutete, traf ihn das unvorbereitet. Zum ersten Mal hörte er einen Trompeter jenseits des klassischen Musikkosmos. Als ein Freund ihm das Jazzalbum „Kind of Blue“ vorspielte, ging er am nächsten Tag in den Laden und verlangte „die Platte von Miles Davis“ – und war mit schier endlosen Regalen konfrontiert. Von da an wollte Nils nichts anderes mehr hören – und spielen. Nach der Schule folgte ein Studium an der Musikhochschule in Berlin, Praxis im Bundes-Jugend-Jazz-Orchester und vielen anderen Bands.

Der Sound des neuen Trompeters kam gut an. Wülker tritt nicht an, um den Jazz zu revolutionieren. Seine Musik ist so eingängig wie guter Pop, und das versteht er als Kompliment: „Es klingt oft einfach, aber für mich ist das auch eine Qualität. Wenn man tief gräbt, dass man viel für sich entdecken kann, aber dass es auch eine leichtere Ebene gibt.“ So gesehen ist Wülker tatsächlich eine Hoffnung für den Jazz, denn das wesentlichste Kriterium erfüllen seine Songs: Sie sind ganz persönliche musikalische Aussagen. Nur eben verständlich formuliert.TOBIAS RICHTSTEIG

14. 5. Hannover, Jazzclub 16. 5. Hamburg, Fabrik 30. 5. Osnabrück, Blue Note 22. 6. Bad Oldesloe, Rathaus 29. 6. + 1. 7. Jazz Baltica