Hertha hängt in der Luft

Im letzten Heimspiel der Bundesliga-Saison präsentieren sich die Berliner erneut als sehr pflegeleichter Gastgeber. Nach dem umstrittenen 3:2-Siegtreffer für Leverkusen fordern die Fans den Abschied von Manager Hoeneß. Trainer Heine ist ratlos

VON JOHANNES KOPP

An diesem Samstag herrschte eine merkwürdige Atmosphäre im Olympiastadion. Immer wieder, minutenlang, geradezu mantraartig, sangen die Fans in der Ostkurve stets zur selben Melodie ihr „Hertha BSC“. In der ersten Halbzeit war es meist die Begleitmusik zum Angriffsspiel von Bayer Leverkusen. Bei den Berlinern klappte bis dahin nach vorne fast gar nichts – doch der guten Stimmung tat das keinen Abbruch.

Gewiss, die Gefolgschaft auf den Rängen ist es gewohnt zu verlieren. Das 2:3 gegen Leverkusen war bereits die sechste Heimspielniederlage in den letzten sieben Begegnungen. Doch als fröhliche Fatalisten haben sich die Berliner Anhänger in der Bundesliga bislang noch keinen Namen gemacht. Sie sind eher für ihren derben Missmut bekannt.

Für diesen Ruf ließen sich allerdings am Samstagnachmittag auch genügend Belege finden. Yildiray Bastürk wurde schon vor Spielbeginn bei seiner offiziellen Verabschiedung respektlos niedergepfiffen, obwohl er drei Jahre lang der umjubelte Star war. „Ich habe damit gerechnet“, bekannte der türkische Spielmacher hinterher tapfer. Und als Jan-Ingwer Callsen-Bracker in der 13. Minute die 1:0-Führung für Leverkusen erzielte, brüllte das blau-weiße Fußballvolk reflexartig „Hoeneß raus“. Es hörte sich so an, als wäre gerade dem Manager der Ball durch die Beine gerutscht.

Die Stimmung schwankte also zwischen melodischer Gleichgültigkeit und schriller Gereiztheit. Einmal mehr konnte das Hertha-Team seinen eigenen Ansprüchen nicht genügen. Sie wollten „einen tollen Abschluss“ hinbekommen, wie es Trainer Karsten Heine formuliert hatte. Vor dem noch ausstehenden Spiel in Frankfurt hat das Team mit dem Nichtabstieg jedoch gerade mal das Minimalziel erreicht.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Heine am Wochenende zum letzten Mal auf der Hertha-Bank Platz nahm. Angesichts dessen konnte der 52-Jährige wohl unumwunden zugeben, dass er mit seinem Trainerlatein am Ende ist. Sein erster Satz auf der Pressekonferenz lautete: „Es bleibt ein Geheimnis, warum wir in diesem Stadion das Spiel immer anders angehen, als wir es uns vornehmen.“

In seiner Ratlosigkeit bediente er sich der Standardformel der Niederlagenerklärer: fehlende Einsatzbereitschaft und mangelnde Aggressivität. Unbestreitbar ist: Die Leverkusener hätten sich für ihre endgültige Sicherung des Uefa-Cup-Platzes kaum einen angenehmeren Gegner wünschen können. Schon in den Anfangsminuten verdeutlichten die Lattentreffer von Stefan Kießling und Simon Rolfes, dass die Berliner Abwehr für die Bayer-Elf ein leicht zu überwindendes Hindernis war. Als dann Hertha nach dem Ausgleichstreffer von Marko Pantelic in der 32. Minute zunehmend ihre Offenherzigkeit in der Defensive mit gelungenen Spielzügen nach vorne kombinierte, entwickelte sich für die Zuschauer eine attraktive Partie mit zahlreichen Torszenen.

Letztlich entschied eine kontrovers diskutierte Strafstoßentscheidung von Schiedsrichter Wolfgang Stark die Begegnung. Stark monierte, Arne Friedrich hätte Kießling im Zweikampf festgehalten. Kevin-Prince Boateng bezeichnete das als einen „Witz“. Der Leverkusener Rolfes hingegen sprach von einem „klaren Elfer“. Bernd Schneider verwandelte ihn souverän zum 3:2.

In der Folgezeit konzentrierte sich der Berliner Anhang darauf, die Einwechslung von Andreas Neuendorf zu erwirken. Sie bereiteten ihrem Liebling im letzten Heimspiel für Hertha einen großen Abgang. Das Spiel selbst geriet zur Nebensache. Denn ob Hertha am Ende Neunter oder Zwölfter wird, ist ja auch einerlei.

Heute Abend allerdings, wenn auf der Mitgliederversammlung von Hertha im ICC die sportliche Talfahrt des Vereins auf der Tagesordnung steht, müssen sich die Verantwortlichen, insbesondere Manager Dieter Hoeneß, auf heftige Auseinandersetzungen gefasst machen.