Quote wäre „Bankrotterklärung“

ASYLPOLITIK Böhrnsen will minderjährige Flüchtlinge umverteilen. Kritik von Flüchtlingsinitiativen

„Der Antrag verstößt gegen Artikel 3 und 5 der UN-Kinderrechtskonvention“

Marc Millies, Flüchtlingsrat

Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) stellt heute bei der Ministerpräsidenten-Konferenz einen Antrag, um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu verteilen. Per Quote solle dies für Bundesländer und Städte geregelt werden. Bisher dürfen minderjährigen Flüchtlinge in der Gemeinde bleiben, in der sie sich zuerst melden. Sehr viele von ihnen kommen nach Bremen, das stelle eine „erhebliche Herausforderung“ dar. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte dem Bundesrat Ende September bereits einen ähnlichen Antrag vorgelegt.

Der Bremer Flüchtlingsrat und der Verein „Fluchtraum“ kritisierten den Antrag scharf: Die Forderung käme einer „Bankrotterklärung zu Lasten verletzbarer Flüchtlings-Kinder“ gleich. „Der Antrag verstößt gegen Artikel 3 und 5 der UN-Kinderrechtskonvention und entsprechende EU-Richtlinien“, sagt Marc Millies vom Flüchtlingsrat. „Der Wechsel des Aufenthaltsorts ist demnach auf ein Mindestmaß zu beschränken und die Inobhutnahme muss unmittelbar vor Ort erfolgen.“ Seit Jahren sei bekannt, dass die Aufnahmestellen überlastet sind, ebenso lang fordere der Flüchtlingsrat daher ein Gesamtkonzept. Die Umverteilung verschiebe lediglich die Verantwortung.

In Bremen halten sich momentan laut Sozialressort-Sprecher Bernd Schneider etwa 350 „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ auf. 2014 habe die Stadt bereits 260 Jugendliche aufgenommen, in den Vorjahren seien es zwischen 100 und 200 gewesen. Im Jahr 2013 wurden in Bremen etwa 3,8 Prozent aller bundesweiten Anträge auf Inobhutnahme gestellt. Nach dem „Königsteiner Schlüssel“, der für erwachsene Flüchtlinge gilt und sich nach Steuereinkommen und Einwohnerzahl richtet, sind für Bremen hingegen nur 0,9 Prozent vorgesehen.

Schneider verteidigt daher Böhrnsens Vorstoß: „Die Erstaufnahmestellen für jugendliche Flüchtlinge befinden sich oberhalb der Belastungsgrenze.“ Es könne „für das Kindeswohl zuträglich sein, die Jugendlichen lokal zu verteilen“. Für den Flüchtlingsrat hingegen bleibt völlig offen, wie dies organisiert werden soll. Üblicherweise würden Asylbewerber zunächst in der Zentralstelle in Braunschweig landen, um dann weiterverteilt zu werden. Der Antrag ließe offen, wie den „altersgemäßen Bedürfnissen“ der Jugendlichen währenddessen Rechnung getragen werden soll.

Vielmehr sei die Situation in anderen Städten und Bundesländern nicht besser als die in Bremen. Im Gegenteil habe Bremen aus Sicht des Flüchtlingsrates zuletzt positive Signale gesetzt, so Millies. Er verwies auf eine erleichterte Aufenthaltsverstetigung sowie die neue Clearing-Stelle. Dort werden jugendliche AsylbewerberInnen unter anderem psychologisch betreut (taz berichtete). All diese Errungenschaften würden durch Böhrnsens Vorstoß konterkariert, sagt Millies.

Unklar bleibt, warum überproportional viele minderjährige Flüchtlinge nach Bremen kommen. Für Ressortsprecher Schneider könnte dies an bestehenden Fluchtwegen liegen, Millies nennt den guten Ruf, den Bremen in der westafrikanische Community genieße. Sicher wissen es beide nicht.  GARETH JOSWIG