BREMEN ZEIGT: DAS ENDE DER „VOLKSPARTEIEN“ IST KEINE KATASTROPHE
: Alternativen zur großen Koalition

Auch wenn die beiden großen Volksparteien bei den Wählern nicht mehr reüssieren, haben sie noch immer eine erstaunlich gute Presse. Nach jeder Wahl, die Union und SPD ein sattes Stimmenminus beschert hat, ertönt auf allen Kanälen das immer gleiche Klagelied: Der Niedergang der großen zwei führe unweigerlich in die Krise des politischen Systems. Deshalb sei jeder Demokrat verpflichtet, sich – ganz unabhängig von der eigenen Parteipräferenz – den strategischen Kopf von Angela Merkel und Kurt Beck zu zerbrechen.

Warum eigentlich? Gerade das Bremer Wahlergebnis zeigt, dass der Vormarsch der kleineren Parteien keine Katastrophe sein muss – und dass die Volkspartei-Doktrin der alten Bundesrepublik den politischen Verhältnissen der Gegenwart kaum noch entspricht. Diese Doktrin entstammte den Erfahrungen der Weimarer Republik mit einer Vielzahl hochgradig ideologisierter, nicht koalitionsfähiger und großteils antidemokratischer Parteien. Und sie folgte der steten Angst vor einem Erstarken rechtsextremistischer Parteien. Weder der Einzug der Linkspartei in die Bremische Bürgerschaft noch der Sensationserfolg der Grünen können solche Ängste allerdings begründen.

Das zeigt sich derzeit vor allem am Erfolg der Grünen, die zuletzt allerorten der Profillosigkeit geziehen wurden. Doch gerade ihre programmatische Unschärfe macht sie zu Profiteuren der großen Koalition. Die linksbürgerliche Partei will zwar nicht alles anders machen als Union und SPD, aber vieles besser. Damit wird sie als Nachfolgerin der marktradikal abgedrifteten FDP zur idealen Partei für Mitte-Wähler, die eine große Koalition nicht wollen. Mit dem neuen Parteiensystem gleicht sich Deutschland den anderen kontinentaleuropäischen Ländern an, in denen ebenfalls das Verhältniswahlrecht gilt. Insofern hat das Wort von der „europäischen Normalisierung“, das die Linkspartei so gern im Munde führt, einen wahren Kern.

Bislang haben die beiden Volksparteien auf ihre Wahlniederlagen vor allem mit der Bildung großer Koalitionen reagiert, die bereits in sechs Ländern und noch dazu im Bund amtieren. Doch diese Regierungsform hat den Erosionsprozess fast überall beschleunigt. Große Koalitionen sind Ursache und Folge des Niedergangs zugleich. Das ist aber das Problem der sogenannten Volksparteien, nicht das der Demokratie. Fast überall gäbe es Alternativen – ob sie nun Rot-Grün, Schwarz-Grün, Ampel, Jamaika oder Rot-Rot-Grün heißen. Union und SPD müssten sie nur ergreifen. Wenn sie es nicht freiwillig tun, dann werden die Wähler sie über kurz oder lang dazu zwingen. RALPH BOLLMANN