Schlechte Werte für Rigoberta Menchú

Zum Wahlkampfstart in Guatemala liegt die indigene Friedensnobelpreisträgerin mit 3 Prozent weit abgeschlagen

GUATEMALA-STADT taz ■ Neugierig schauen links und rechts von der staubigen Straße in Villa Nueva, einem Vorort von Guatemala-Stadt, Männer, Frauen und Kinder aus ihren Türen – angelockt von traditioneller Musik ihres Landes und der immer gleichen Ankündigung: „Hier kommt die Karawane des Sieges – begrüßt die zukünftige Präsidentin Rigoberta Menchú!“

An diesem Wochenende begann in dem zentralamerikanischen Land offiziell der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen Anfang September, und die bekannteste Kandidatin – zumindest in Europa – ist ohne Zweifel Rigoberta Menchú, Vertreterin der indigenen Bevölkerungsmehrheit und seit 1992 Friedensnobelpreisträgerin.

Noch immer herrschen in Guatemala Diskriminierung und Rassismus. Die Vereinten Nationen sprachen in ihrem Länder-Bericht von 2001 sogar von einer „Art Apartheid“. „Die Kandidatur von Rigoberta Menchú ist ein Symbol. Sie macht klar, dass die indigene Bevölkerung in unserem Land existiert“, sagt Marco Antonio Barahona Muñoz vom Institut für soziale Studien in Guatemala, kurz „Asies“. Eine Bewegung wie um den jetzigen bolivianischen Präsidenten Evo Morales kann sich Barahona Muñoz allerdings noch nicht vorstellen: „Die Indigenen sind noch nicht als Gruppe organisiert, sie haben kein soziales oder politisches Projekt.“

Etwas linkisch winkt Rigoberta Menchú den Bewohnern von Villa Nueva von einem breiten Geländewagen aus zu. Sie trägt die typische bunte Maya-Tracht: einen weiten langen Rock in leuchtenden Farben und eine passende Bluse. Um den Kopf hat sie sich einen Ring aus rotem und grünem Stoff geflochten – die Farben ihre Partei „Begegnung für Guatemala“. Auf ihrer Oberlippe haben sich kleine Schweißtröpfchen gebildet. Sie leidet unter der Sonne.

„Wir wollen einen funktionierenden, effizienten Staat. Wir wollen, dass die Steuergelder wirklich beim Volk ankommen. Die Beamten sollen nicht in die eigene Tasche wirtschaften“, ruft sie ihren potenziellen Wählern wenig später auf dem Markt von Villa Nueva zu. Applaus.

Die Korruption ist noch immer eines der größten Probleme von Guatemala. In der jährlichen Studie von Transparency International landet das Land auf Platz 100. Außerdem gilt Guatemala als das Land Lateinamerikas, in dem der Reichtum und die Armut am weitesten auseinanderklaffen. Über die Hälfte der Bevölkerung lebt unter dem Existenzminimum. „Wir haben zwar formal eine Demokratie, aber der Staat funktioniert überhaupt nicht, hat noch nie funktioniert“, meint Politikwissenschaftler Barahona Muñoz.

Noch schlimmer steht es um die Sicherheit im Land. Im vergangenen Jahr zählte die Polizei 16 Morde am Tag in Guatemala. Drogenmafia und Jugendbanden halten das Land in ihren Zangen. Und da vertrauen die Wähler – zumindest wenn man den bisherigen Umfragen glauben mag – nicht unbedingt Menchú, um diese Probleme zu lösen. In Umfragen erreicht sie nur knappe 3 Prozent und liegt damit weit abgeschlagen. Bessere Chancen haben zurzeit der neoliberale Exgeneral Otto Pérez, der verspricht, mit „harter Hand“ gegen die Kriminalität durchzugreifen, und Álvaro Colom, Kandidat der linken UNE, der auch unter den Indigenen viel Zuspruch bekommt. Beide zogen bei ihren Auftaktveranstaltungen mehrere tausend Menschen an – Rigoberta Menchú schaffte dagegen nur ein paar hundert.

Denn nur wegen ihrer Zugehörigkeit zum Volk der Maya identifizieren sich noch lange nicht alle Indigenen mit der Nobelpreisträgerin Menchú. In Cobán, einem Städtchen im Norden von Guatemala, musste sie sich zuerst entschuldigen, weil sie nicht den Akzent der dort ansässigen Mayas sprechen konnte. Die indigene Bevölkerung ist äußert heterogen. Ein Taxifahrer in der Hauptstadt fasst das Misstrauen gegenüber der Weltberühmtheit zusammen: „Sie ist zu viel gereist. Mit unserem Leben hat Menchú nichts mehr zu tun.“ RUTH REICHSTEIN