Nazi-Gegner unter Beobachtung

In Göttingen sollen Zivilbeamte die Teilnehmer eines antifaschistischen Stadtrundgangs observiert haben. Dagegen protestieren nun auch die Vertreter der Kirchen und der Jüdischen Gemeinde

VON REIMAR PAUL

Mit Theatervorführungen, Vorträgen, Filmen, Ausstellungen und einem „antifaschistischen Stadtrundgang“ protestierten zahlreiche Göttinger Initiativen in der vergangenen Woche gegen Nazis. Die „Kulturwoche gegen Rechts“ sollte ein Zeichen setzen, „dass NPD, freie Kameradschaften und sonstige Neonazis ihre menschenverachtende Propaganda nicht mehr verbreiten können“, hieß es – denn in jüngster Zeit war die NPD gleich mehrmals in der Stadt aufmarschiert. Der Fachdienst Kultur der Stadtverwaltung trat als Mitveranstalter der Kulturwoche auf, und auch die Stadtbibliothek beteiligte sich mit einer Lesung zum Jahrestag der Bücherverbrennung.

Ein öffentlich angekündigter „antifaschistischer Stadtrundgang“ am vergangenen Mittwoch thematisierte unter anderem die unrühmliche Rolle der Göttinger Universität im „Dritten Reich“. Neben rund 35 Interessierten sollen dabei auch bis zu zehn Zivilbeamte der Polizei den geführten Spaziergang mitgemacht haben. „Das hat genervt, ich fühlte mich dadurch ziemlich eingeschüchtert“, sagte eine Teilnehmerin nachher der taz. Und die Göttinger Linke, mit drei Abgeordneten im Rat vertreten, erklärte prompt: „Die Erinnerung an die Täter und Tatorte missfällt offenbar der Göttinger Polizeiführung.“

Wie meist in solchen Fällen, schien die nur aus linker Ecke geäußerte Kritik schon ins Leere zu laufen. Doch jetzt prangern auch Vertreter von evangelischer Kirche, Jüdischer Gemeinde und weiterer Organisationen das Vorgehen der Polizei an. Die Teilnehmer des Rundgangs hätten sich durch die Zivilbeamten observiert gefühlt, heißt es in einem Brief des Bündnisses „Göttingen zeigt Gesicht“ an Polizeichef Hans Wargel. Zu den fünf Unterzeichnern im Auftrag des Bündnisses zählen zwei Pfarrer sowie der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Göttingen, Harald Jüttner.

„Diese Veranstaltung ist von Beamten des Staatsschutzes Ihres Präsidiums begleitet worden, ohne dass die Beamten oder der Einsatzleiter sich beim Vertreter der Veranstalter vorgestellt haben“, bemängeln die Bündnis-Sprecher weiter: „Also gehen wir davon aus, dass die Teilnehmer des antifaschistischen Stadtrundgangs vom Staatsschutz observiert wurden.“ Falls die Polizeiführung den Einsatz zum Schutz gegen Übergriffe von Neonazis geplant habe, hätten die Beamten sich erst recht vorstellen müssen.

„Göttingen zeigt Gesicht“ hatte in der Vergangenheit mehrmals große Demonstrationen gegen Aufmärsche der NPD organisiert. Dabei habe man stets „größtmögliche Bereitschaft gezeigt, es nicht zur Konfrontation mit der Polizei kommen zu lassen“, heißt es in dem Offenen Brief an Wargel. Nun jedoch habe das Verhalten der Beamten beim Stadtrundgang „erheblich zu Misstrauen“ geführt.

Bei der Göttinger Polizei war gestern Nachmittag ein Treffen zu dem Offenen Brief anberaumt. Die zuständige Inspektion sei zunächst um eine Stellungnahme gebeten worden, sagte Polizeisprecher Lutz Ike. Bei den Gesprächen zeichne sich ab, dass die Vorwürfe „so nicht den Tatsachen entsprechen“. Für den Abend kündigte Ike eine schriftliche Presseerklärung an.

Die Ratslinke meldete sich unterdessen mit dem Vorschlag, die Beamten, deren Verhalten vom vergangenen Mittwoch an „altbekannte Stasi-Methoden“ erinnere, sollten sich bei den Spaziergängern gegen Rechts entschuldigen.