rutschende stahlträger
: Neue Kritik an Wackelbahnhof

Der Hauptbahnhof bleibt ein Wackelkandidat, allen Beteuerungen der Bahn zum Trotz. „Ich fürchte, dass die Fassade immer noch nicht sicher ist“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Dorothée Menzner. Sie unterfüttert ihre Zweifel an der Standfestigkeit der über 1,2 Milliarden Euro teuren Luxusstation mit einer neunseitigen technischen Analyse. Diese belegt, dass die tonnenschweren Stahlbalken bei Sturm ins Rutschen kommen können – obwohl die Bahn im Februar zusätzliche Befestigungen angebracht hat. „Was die Bahn unternommen hat, ist aus meiner Sicht und der Sicht der von uns konsultierten Experten nicht ausreichend“, sagt Menzner.

Ihr Misstrauen begründet sie vor allem mit der losen Lagerung der Balken, von Experten auch als „schwimmend“ bezeichnet. Die schweren Zierträger liegen links und rechts frei in Taschen des senkrechten Stützen. So kann die Fassade sich bei Hitze oder Kälte ausdehnen oder zusammenziehen. Dass die Bahn beide Enden beweglich lagern ließ, sei „nicht nachvollziehbar“, heißt es in Menzners Analyse. Der damit verbundene Aufwand hätte „von vornherein halbiert werden können“, wenn jeder Balken auf einer Seite ein festes Lager hätte.

Vor allem aber bezweifelt sie den Sinn der Notoperation der Bahn nach dem überraschenden Absturz zweier Stahlträger während des Orkans „Kyrill“ Ende Januar. Vier Wochen später hatte das Unternehmen stolz mitgeteilt, alle Riegel seien „fest und sicher verankert“. In einer Antwort auf eine entsprechende Anfrage der Linksfraktion an die Bundesregierung führt die Bahn weiter aus: Die Fassadenriegel seien „nach Vorgaben des Prüfstatikers an beiden Auflagern durch nachträglich montierte Knaggen gegen Abheben gesichert“. Genau das ist der Punkt, den Verkehrsexpertin Menzner bemängelt.

Denn jetzt sitzt zwar jedes Balkenende in einer auch nach oben geschlossenen Tasche, es „schwimmt“ aber nach wie vor. „Das Problem ist doch gar nicht das senkrechte Abheben der Riegel, sondern die Beweglichkeit derselben in der Waagerechten“, sagt Menzner. Sprich: Drückt ein Sturm die beiden senkrechten Stützen mit Gewalt auseinander, könnten die dazwischenliegendenen Stahlträger rausrutschen und herunterfallen.

Die Bahn weist solche Befürchtungen entschieden zurück. „Der Hauptbahnhof ist sicher“, betont ein Sprecher. Die nach der peinlichen Panne angeschweißten Knaggen würden die 240 Querriegel auch gegen horizontale Verschiebungen sichern. Menzner hält mit einer Berechnung dagegen: Jeder Riegel biete einem Sturm eine Angriffsfläche von rund 10 Quadratmetern. Bei Windstärke 12 drücke eine so starke Windkraft auf diese Fläche, dass sie das Gewicht des Riegels von 1,4 Tonnen annähernd erreiche. „Der beidseitig schwimmend gelagerte Riegel könnte ins Schwimmen kommen“, folgert Menzner. Vielleicht empfiehlt es sich also doch nicht, bei Sturm vor den Bahnhof zu flüchten.

Immerhin gibt es auch noch gute Neuigkeiten in der Analyse der Linksfraktion: Die Spalten an den Zierbalken seien so groß, dass Vögel sie für den Nestbau nutzen könnten, schreibt Dorothée Menzner. Der Hauptbahnhof eine riesige Voliere, erfüllt vom Zwitschern glücklicher, mit der Brutpflege beschäftigter, Piepmätze – da macht das Warten auf den ICE doch erst so richtig Freude. ULRICH SCHULTE