abteilung staub und tinnef von SUSANNE FISCHER
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Es gibt ja verschiedene Sorten Menschen – zum Beispiel solche, die beschließen, vor ihrem Tod alles, aber auch alles zu regeln und zu ordnen. Kaum haben sie das getan, leben sie noch fünfzehn Jahre weiter, schlafen aber dabei praktisch jede Nacht in ihrem Sarg, auf den sie bereits eine Anzahlung geleistet haben, um es den Erben leichter zu machen.

Die folgenden Jahre allerdings gestalten sich für die Erben unerfreulich. Bei jedem Kaffeetrinken sagte Tante Minna: „Die Zuckerdose bekommst du nicht, die ist echt Silber, die kriegt deine Cousine Lisa. Du wirst den vergoldeten Parfumzerstäuber erben.“ Der war von Woolworth, und das Gold blätterte schon ab, ehe der Tante Heimgang zu beklagen war. Aber einer Sterbenden widerspricht man nicht.

Außerdem erwähnte sie bei jeder Gelegenheit mit vitaler und begeisterter Stimme, dass sie es wohl nicht mehr lange machen werde, das habe sie so in den Knochen, ihre Mutter sei auch nicht alt geworden. Ein gutes Kaffeeservice musste sie sich neu anschaffen, weil sie es in Erwartung ihres nahen Endes längst an ihren Großneffen abgegeben hatte. Aber an ihrem 90. Geburtstag konnte man ja trotzdem nicht vom nackten Tisch essen, und der Großneffe, ein eifriger Flohmarkthändler, gab vor, sich an nichts zu erinnern.

Die andere Sorte Menschen tut so, als würde sie die nächsten 500 Jahre weiterleben, und zwar in zu erwartender äußerster Lebensmittel-, Möbel- und Kleidungsknappheit. Meine engere Familie gehört zu dieser Art Sammler, die besonders unangenehm wird, wenn sie über mehrere Generationen dasselbe Haus bewohnt. Schmale Trampelpfade führen durch Pulloverstapel von kurz nach 1945 und Goldrandgeschirr von 1910. Diese Menschen sterben mitunter überraschend und hinterlassen ein Chaos.

Manchmal sterben sie auch nicht überraschend und hinterlassen ein Chaos, durch das die nachfolgenden Generationen sich in monatelanger Kleinarbeit zu pflügen haben. Alte Freundschaften unter den Geschwistern werden wiederbelebt: „Ich wusste gar nicht, dass du so viele schlechte Zeugnisse hattest.“ – „Guck mal, dein erster Joint, Mama hat ihn aufgehoben.“

Meine Großmutter war ein Sonderfall, sie hortete gnadenlos, gab aber dabei vor, es nicht zu tun. Als meine Mutter ihr Vorwürfe machte – es sei ja gut und schön, sich neue Kleider zu kaufen, auch wenn man schon 85 sei, aber dann müsse man sie auch tragen und nicht „für später“ schonen –, guckte sie bloß beleidigt und zog weiter ihre alten, abgeschabten Sachen an. Nach ihrem Tod fanden wir in ihrem Schrank eine Menge beinahe ungetragener Kleider, penibel mit kleinen Zettelchen versehen „Hatte ich an am …“ und „Habe ich zweimal getragen!!“ Das waren ihre Botschaften aus dem Jenseits, niemand sollte ihr etwas nachsagen können.

Es müsste einen Trick geben, der im Moment des Todes die persönlichen Habseligkeiten zu Staub zerfallen lässt. Wenn ich nachts über die Landstraße fahre und ein Wildschwein plötzlich auf die Straße springt, habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Ich fürchte mich bloß davor, dass meine Neffen und Nichten am nächsten Tag in meiner Unterwäsche herumwühlen und sich zurufen: „Mein Gott, für wen hielt sie sich? Madonna?“