Abschied vom Élysée-Palast

Heute tritt Sarkozy sein Amt an. Manch einer wird sich nach Chirac zurücksehnen

PARIS taz ■ Nach zwölf Jahren im Élysée-Palast wird Jacques Chirac heute von der rechten Seite der Seine auf die linke Seite des Flusses umziehen. Das neues Domizil des scheidenden französischen Staatschefs – eine Maisonettewohnung mit Blick auf Louvre und Tuilerien – ist eine Leihgabe der Familie des ermordeten libanesischen Politikers und Milliardärs Rafik Hariri, mit dem Chirac persönlich und politisch eng verbunden war. Wie alle ehemaligen Präsidenten wird er Mitglied des Verfassungsrates.

Doch es ist unwahrscheinlich, dass sich der 74-Jährige auf einen Ehrenposten beschränkt. Die Franzosen erwarten, dass der Mann, den sie in den vergangenen vier Jahrzehnten unter anderem als Regierungschef, Minister, Parteichef und Bürgermeister von Paris erlebt haben, sich in internationale Aufgaben stürzt. In einem Monat wird auch seine präsidentiale Immunität enden. Wenn Chirac offiziell wieder ein citoyen wie jeder andere ist, darf ihn die bislang am Élysée-Palast abgeblitzte Justiz vorladen, um ihn zu Parteispendenaffären in Paris zu hören.

Von seinen Landsleuten hat sich Chirac bereits mehrfach verabschiedet, zuletzt gestern Abend in einer Fernsehansprache und zuvor am 11. März, als er auf eine neuerliche Kandidatur als Präsidentschaftskandidat verzichtete. „Es gibt ein Leben nach der Politik“, sagte er da. Chirac war bei seinem letzten Mandat zugleich der schlechtest und bestgewählte Präsident der V. Republik. Im April 2002 war er im ersten Durchgang nur auf 19 Prozent der Stimmen gekommen. Zwei Wochen später gelang ihm im zweiten Durchgang ohne eigenes Zutun das Kunststück eines Wahlergebnisses von 82 Prozent. Aus Angst vor dem – arithmetisch fast ausgeschlossenen – Wahlsieg des Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen hatte fast die komplette französische Linke für Chirac gestimmt. Die Hoffnungen vieler, dass Chirac sich auch nach links öffnen würde, wurden enttäuscht. Die rechte UMP unter Vorsitz von Nicolas Sarkozy hatte die absolute Mehrheit in beiden Parlamentskammern und paukte alle politischen Projekte ohne Rücksicht auf oppositionelle Einwände durch. Wenn die Opposition die Debatten im Parlament nach Ansicht der UMP in die Länge zog, benutzte die rechte Regierung den Paragrafen 49.3, mit dem Gesetze ohne Abstimmung in Kraft treten.

Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass manche Franzosen sich nach dem scheidenden Präsidenten zurücksehnen werden. Chirac war der letzte Neogaullist, der einen großen Bogen von rechts nach links schlug. Sozialpolitisch stand er den SozialdemokratInnen anderer europäischer Länder näher als den Konservativen. Seine Distanz zu Rechtsextremen war über jeden Zweifel erhaben. Und seine Außenpolitik stand in der gaullistischen Tradition enger Beziehungen zur arabischen Welt wie auch zu Israel und kritischer Freundschaft mit Washington.

Zu den großen Momenten von Chiracs Zeit an der Spitze der Republik gehören seine Rede vom Juli 1995, als er der erste – und einzige – französische Staatspräsident war, der eine französische Mitverantwortung für die Deportationen in die Vernichtungslager anerkannte. Im Jahr 2003 verschaffte er Frankreich international ein lange nicht mehr da gewesenes Ansehen, als er sein Veto gegen den US-amerikanischen Krieg im Irak ankündigte. Und im Jahr 2005 brachte Chirac einen Mut auf, den Schröder nicht hatte: Er organisierte ein Referendum über die EU-Verfassung und löste damit eine breite öffentliche Debatte über Sinn und Ziele der EU aus.

Chiracs Nachfolger Sarkozy war zwar ein politischer Zögling des scheidenden Präsidenten. Doch in allen drei Punkten weicht er weit von Chirac ab. Der Nachfolger will dem „historischen Bußgang“ ein Ende setzen. Einer der Männer, den er möglicherweise zum Außenminister Frankreichs machen will, ist Bernard Kouchner, der 2003 den Krieg gegen den Irak gerechtfertig hat. Und ein neues Referendum über eine neue EU-Verfassung will Sarkozy auch nicht.

DOROTHEA HAHN

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