Nah dran am Führer

SCHAUSPIEL Martin Baum inszeniert Taboris „Mein Kampf“ im Brauhauskeller. Und liefert unterhaltsames Schauspielertheater. Das Stück scheint indes an Biss verloren zu haben

von Andreas Schnell

Es gab nicht wenige Hitlers zu sehen in den letzten Jahren, von Bruno Ganz bis Helge Schneider. Dass man über den Führer Witze machen darf, gilt mittlerweile als gesichert. Das war zu Zeiten George Taboris, genauer zur Uraufführung von „Mein Kampf“ 1987, noch etwas anders.

Insofern hat Martin Baum, der am Bremer Theater auch Ensemblemitglied ist, leichteres Spiel, wenn er das Stück nun im Bremer Brauhauskeller inszeniert. Der Ort ist gut, denn das Publikum hier ist sehr nah dran an den Schauspielern, und das kühle Gewölbe verleiht dem Wiener Männerasyl, in dem der großherzige Shlomo Herzl auf den jungen Adolf Hitler trifft, ein Klima der Ärmlichkeit und Enge.

Diese Enge, die gemeinsame Not, ist der Nährboden der eigenartigen Beziehung der beiden. Hitler ist schon als Bewerber an der Kunstakademie Antisemit, cholerisch, rechthaberisch. Und Herzl eben das ganze Gegenteil davon, durchdrungen von Anstand, Liebe und Witz. Dass man weiß, was später kommt, dass der eine Täter, der andere Opfer wird, ist der Hebel für Taboris Farce, die er einmal einen „theologischen Schwank“ nannte.

Herzl widmet sich dem späteren Diktator, verpasst ihm die charakteristische Frisur, den bekannten Bart – und sorgt schließlich dafür, dass Hitler Politiker wird und ein Buch namens „Mein Kampf“ schreibt. Der Weg dorthin ist mit vielen guten Pointen gepflastert, die in Baums Regie ein exzellentes Timing erhalten und von dem Ensemble mit viel Spielfreude serviert werden.

Guido Gallmann ist als warmherziger, einfühlsamer Shlomo Herzl eine tolle Besetzung. Gleiches lässt sich über Alexander Swoboda als rätselhaft hintersinnigen Lobkowitz sagen. Philipp Michael Börner meistert die schwierige Führerrolle vielleicht nicht bravourös, aber immerhin ordentlich, zwischen jähzornig und paranoid. Gelegentlich wirft er sich Herzl hypochondrisch in die Arme. Varia Linnea Sjöström gibt Shlomos Geliebte Gretchen wie so oft mit mitreißendem Charme, Susanne Schrader spricht Frau Tod durch die Maske einer bizarren Puppe – ebenfalls sehenswert. Auch das Huhn, das hier am Ende grausam genussvoll zerlegt wird, ist eine Puppe, die turnusmäßig von allen Ensemblemitgliedern geführt wird und erstaunlich viel Charakter entwickelt. Kurz: Der Abend ist gespickt mit schönen Momenten. Soweit also alles in bester Ordnung.

Aber: War da nicht noch was? Man spielt dieses Stück doch schließlich nicht nur wegen seiner Pointen. Gewagt, wie gesagt, ist es heute nicht unbedingt, an Schockwirkung hat es eingebüßt, weshalb auch das Lachen nicht mehr notwendig im sprichwörtlichen Halse stecken bleibt.

Tabori nahm einst schweren Herzens Abschied von Brechts Theater – und tauschte Marx gegen Freud ein. Damit setzte er auf eine Faschismuskritik, die den Grund für den Erfolg des Nationalsozialismus mehr in der Psyche von dessen Vordenkern suchte, als in der Gedankenwelt derer, die seinen Erfolg ermöglichten. Shlomo Herzl indes hätte wohl auch ein kritischerer Umgang mit seinem Zimmergenossen nicht geholfen: Am Ende muss er mit Frau Tod gehen, er, der Hitler das Leben gerettet hat. Jenem Hitler, der, wie Frau Tod sagt, als Toter Mittelmaß, als Täter aber ein „Naturtalent“ ist.

■ nächste Vorstellungen: Samstag, 20.30 Uhr, Montag, 19 Uhr, Mittwoch, 20.30 Uhr, Brauhauskeller