Alles hängt miteinander zusammen

RESSOURCEN Marcel Hänggi diskutiert die notwendige energiepolitische Wende im Zusammenhang mit der Idee einer gerechteren Gesellschaft. Nur die Verbraucher anzuklagen, reicht schließlich nicht

Schon wieder ein Buch über das Ende des Ölzeitalters? Nein, dieses Buch ist etwas Besonderes. Im Gegensatz zu den meisten Autoren diskutiert Marcel Hänggi die Energiewende in einem politischen und sozialen Kontext. Damit macht er sich einen Blick zu eigen, der in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in den Hintergrund gerückt ist. Schließlich wurde das Thema in den 70er Jahren schon einmal wesentlich gesellschaftskritischer debattiert. Und die Diskussion ging weit über die Grenzen des linksalternativen Milieus hinaus.

Mit dieser thematischen Erweiterung rücken zwangsläufig andere Aspekte in den Fokus des Schweizer Autors. Ihn interessiert vor allem, wie wir künftig leben wollen. Diese Frage ist Leitmotiv des Buchs. Das klingt nach Utopie. Doch Hänggi bleibt Realist, indem er dieses Motiv in der wirklichen Welt verankert.

Seine Prämisse ist hinlänglich bekannt: Der Klimawandel muss aufgehalten werden, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Deshalb darf der weltweite Energiehunger nicht länger mit fossilen, klimaschädlichen Brennstoffen wie Kohle und Öl gestillt werden. Ein schnelles Umsteuern auf Erneuerbare Energien ist notwendig. Doch allein auf Sonne, Wind, Wasser oder Erdwärme zu setzen, reicht nicht. Vor allem die Industriestaaten müssen ihren Verbrauch massiv drosseln.

Dieser Aspekt findet in der öffentlichen Debatte noch immer zu wenig Beachtung. Dabei bietet gerade die Senkung des Verbrauchs enorme Chancen. Strategien wie die Wärmedämmung von Häusern oder die Entwicklung von Niedrigenergiegeräten für den Haushalt sind wichtig. Doch bieten sie bei Weitem nicht genug Sparpotenzial, um die Umwelt zu entlasten. Hänggi ist überzeugt, dass dies nur gelingen kann, wenn die Gesellschaft umgebaut wird. Wenn sie die Art und Weise, wie Energie gewonnen, genutzt und verschwendet wird, überdenkt.

Wie dieser Umbau aussehen kann – dafür hat der Autor Beispiele zusammengetragen. Städte sollten wieder mehr den Bedürfnissen der Menschen angepasst werden statt dem Autoverkehr. Die Wachstumsfixierung der Wirtschaft müsste überwunden werden. Investitionen in Arbeit sollten neben denen in Technik wichtiger werden, damit die Menschen ein Einkommen und eine Lebensperspektive haben. Dies alles setzt Umdenken, Querdenken und Neudenken voraus.

Besonders kritisch sieht Hänggi den Einsatz von Großtechniken, die in Atomkraftwerken oder Ölförderkomplexen genutzt werden. Heute wird der Großteil der Energie von globalen Konzernen bereitgestellt. Die Alternative wäre eine dezentrale Versorgung. Nur kleinteilige Strukturen können Wahlfreiheit garantieren. Die Energiegiganten hingegen nutzen im Zweifel ihre Macht, um eigene Gewinninteressen durchzusetzen, statt den Bedürfnissen der Allgemeinheit zu dienen. Eine weitgehend dezentrale Energieversorgung würde die Macht der Konzerne beschneiden, und die Verbraucher wären nicht länger abhängig von einigen wenigen Großen.

Der Autor ist Historiker. Er schaut sich an, wie die Industrieländer an jenen Punkt gekommen sind, an dem sie heute stehen. Daraus leitet er ab, dass die Entwicklung auch anders hätte laufen können. Als zweiter roter Faden strukturiert dieser Gedanke das Buch.

Ein Beispiel ist der Autoantrieb: Um das Jahr 1900 fuhren auf den Straßen wesentlich mehr Automobile mit Elektro- als Verbrennungsmotoren. Acht Jahre später brachte Henry Ford das legendäre T-Modell auf den Markt. Dieses Automobil hatte einen Verbrennungsmotor und verkaufte sich fantastisch. Damit war das Rennen für diese Antriebsart gelaufen. Mit dem Siegeszug des Verbrennungsmotors hat sich die heutige Infrastruktur entwickelt.

Mit solchen Beispielen öffnet Hänggi seinen Lesern den Blick dafür, dass sich Gesellschaft gestalten lässt. Wie eine Gesellschaft aussieht, hängt seiner Überzeugung nach von der Art und Weise ab, wie sie mit Energie umgeht. ULRIKE MÜLLER

 Marcel Hänggi: „Ausgepowert. Das Ende des Ölzeitalters als Chance“. Rotpunktverlag, Zürich 2011, 368 S., 28 Euro