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Archiv-Artikel

Sie leuchtet!

BAUSTELN In FabLabs kann jeder eigene Produkte herstellen. Zum Beispiel den energiesparenden Deckenfluter

Ich feile stundenlang und habe am Abend nichts weiter geschafft. Aber die Plastikstöpsel passen

VON ANNETTE JENSEN

Ich glaube, nein, ich bin sicher, ich werde ihn lieben. Aber noch warte ich ungeduldig darauf, dass er endlich bei mir einzieht. Nie hätte ich gedacht, dass es so lange dauert. Dabei ist sicher: Ohne die Unterstützung von zwei Männern würde es ihn nie geben. Doch ich verspreche: Wenn es so weit ist, werde ich aller Welt seine intimsten Geheimnisse preisgeben.

Die Rede ist von meinem neuen energiesparenden Deckenfluter. So etwas existiert nirgends auf dem Markt – oder ich habe es nicht gefunden. Weil ich viel Licht am Schreibtisch brauche, aber nicht direkt angestrahlt werden mag, saugt seit Jahren ein betagtes und keineswegs hübsches Modell in meinem Arbeitszimmer 300 Watt aus der Streckdose. Wahrlich kein guter Zustand für jemanden, der dauernd übers Energiesparen schreibt.

Etwas selbst herstellen, was man braucht oder gerne haben will, ist das Credo der FabLab-Bewegung. In allgemein zugänglichen Räumen stehen Hightech-Maschinen, die jeder benutzen darf. Im Internet gibt es Bauanleitungen und sogar Programme, die die gewünschten Gegenstände dreidimensional darstellen und ihre Daten direkt an die Maschinen senden. Sogar 3-D-Laserdrucker stehen herum, die aus dünnen Plastikwürsten Brillengestelle oder andere Dinge aufbauen. Jeder darf die Programme kostenlos runterladen, und ganz nebenbei werden so die Großkonzerne ausgebootet. In Berlin gibt es seit kurzem ein solches Fabrikationslabor, also mache ich mich auf den Weg.

Das Betahaus in Kreuzberg ist ein Gebäude voll mit Kreativen, das man durch ein Café betritt. An Sperrholztischen sitzen Menschen an Apple-Computern, dahinter beginnt die „open design city“: An einer Säule hängen Sägen, Zangen und Scheren, in Tonnen lagern Holz- und Styroporreste. In Ecken stehen unscheinbar ein 3-D-Drucker und eine computergesteuerte Fräse in selbstgezimmerten Gehäusen.

Nebenan im Maschinenraum baut Ingenieur Axel Stab gerade eine Hightech-Werkbank, die er selbst entworfen hat, eine doppelbettgroße Alukonstruktion, auf der Möbel und andere größere Gegenstände gefräst, gelasert und gesägt werden sollen. Der 42-Jährige mit den langen Koteletten leitet im Alltag eine Vier-Mann-Firma. Doch er findet das Leben zu spannend, um sich nur mit Präzisionssteuerungen zu beschäftigen. Deshalb verbringt er jede Woche eineinhalb Tage hier, um etwas zu bauen oder anderen dabei zu helfen.

Mir zum Beispiel. Die heutigen Energiesparlampen seien eine Übergangstechnik, erklärt Axel, als wir zusammensitzen. Viel sinnvoller sei es, die mit Gas gefüllte Leuchtstoffröhre von dem im Sockel eingebauten Vorschaltgerät zu trennen. Das habe nämlich eine deutlich längere Lebensdauer und lande heute meist voll funktionsfähig im Müll. Im Grunde bräuchte ich nur ein paar Neonröhren, die es heute auch in warmen Lichttönen gebe, ein Vorschaltgerät und einen Lampenschirm, der das Licht gegen die Decke reflektiere. Axel erklärt mir, dass ich nicht mehr in Watt rechnen solle sondern in Lumen pro Watt, das ist die Lichtausbeute, also der Wirkungsgrad einer Lichtquelle. Mit rauchendem Kopf und vollem Notizzettel mache ich mich auf zum Baumarkt.

Die Idee, eine Suppenschüssel zum Lampenschirm umzufunktionieren, verwerfe ich sofort: Keine Röhren passen da hinein. Wenn ich die gleiche Helligkeit haben will wie vorher, brauche ich entweder zwei superlange oder vier 60-Zentimeter-Röhren. Irgendwie darum herum muss ich einen Blendschutz konstruieren.

Zu unserem nächsten Treffen gesellt sich Simon Junge dazu, ein 32-Jähriger mit Dutt und Brille, der bis vor ein paar Monaten als Architekt in Argentinien gearbeitet hat, aber keine Lust hat, seine Kreativität in Deutschland in einem großen Architekturbüro zu verschwenden. Stattdessen entwickelt er gerade eine flexible, in alle Richtungen formbare Lampe, arbeitet als Beleuchter und schaut sich nach Gleichgesinnten um, mit denen sich eine berufliche Zukunft aufbauen lässt. Ein Kreuzberger Mützenmacher nutzt Axels Schweißgerät für ein paar Euro, um Ständer für die Puppenköpfe in seinem Schaufenster zu bauen.

Billig und öko wird die eigene Lampe nicht

Unterdessen untersuchen wir zu dritt das Innenleben einer billigen Neonleuchte. Zu dem 4,50-Euro Produkt gehören nicht nur Halterungen, die beim Einzelkauf sicher mehr kosten als die ganze Lampe. Auch ein einfaches Vorschaltgerät verbirgt sich zu Axels Erstaunen hinter der Blechverkleidung.

Klar wird, dass alles Selbstgebaute wesentlich teurer werden wird. Und spätestens beim Innenleben der Komponenten hört die Vor-Ort-Produktion auf: Die elektronischen Bauteile stammen mit Sicherheit aus riesigen Fabriken in Asien. Auch wird unsere Lampe keineswegs „öko“, merkt Simon an: Alle Leuchtmittel enthalten Gifte.

Ich entscheide mich angesichts der langen Form, lieber einen Deckenfluter herzustellen. Er soll wie ein Boot aussehen, dessen Rumpf mit schmalen Stoffbahnen bespannt wird. In der Stadtbibliothek kopiere ich Konstruktionspläne von Schiffsrümpfen, baue am Küchentisch ein klappriges Pappmodell, tunke Stoffe in Tapetenkleister und spanne sie zwischen Drähte. Um eine brauchbare 3-D-Zeichnung anzufertigen, müsste ich jetzt eigentlich erst einmal ein Computerprogramm wie SketchUp lernen. Simon nimmt mir die Arbeit ab.

Demokratisches Wissen statt Eigennutz

Während er am Laptop mit flinken Bewegungen zahlreiche Punkte der kurvenreichen Formen definiert, baue ich das Aluminiumgestell, an dem die Röhren befestigt werden sollen. Acht millimetergenaue Löcher brauche ich, um die Plastikhalterungen einzuklemmen. Axel zeigt mir rasch, wie es geht. Sein Loch sieht aus wie gestanzt. Ich feile stundenlang und habe am Abend nichts weiter geschafft. Immerhin weiß ich jetzt, wie es sich anfühlt, Aluminium zu bearbeiten, und meine Öffnungen sind exakt genug, damit die Plastikstöpsel passen, aber nicht durchrutschen.

Jeden Montag ist Baustelabend im Betahaus. Ein bis zwei Dutzend Leute treffen sich hier. Die meisten sind um die 30 Jahre alt und männlich. Die Atmosphäre ist offen, Neuankömmlinge werden freundlich begrüßt und an jemanden verwiesen, der vielleicht weiterhelfen kann. Man fühlt sich als Teil einer globalen Community, deren Ziel es ist, das Produktionswissen zu demokratisieren und zu dezentralisieren. Open Source ist das Stichwort. Wie die gleichnamige Software soll jeder auch Vorlagen für Gegenstände einfach herunterladen und nutzen können. Das Motiv ist nicht uneigennützig: Wenn viele ihr Wissen zur Verfügung stellen, profitiert jeder auch selbst davon. Außerdem macht es Spaß, mit anderen zusammen etwas zu entwickeln. Und wer gerade in Berlin, Barcelona oder Sydney vorbeikommt, schaut einfach mal vorbei und findet so wahrscheinlich sogar einen Schlafplatz bei irgendjemandem.

Am nächsten Tag kommen endlich die sehnsüchtig erwarteten Maschinen zum Einsatz. Kreischend arbeitet sich die Fräse durch meine Holzbretter, immer wieder einspannen, immer wieder stoppen, weil sie zu nahe an den Rand fährt. Nach Stunden halte ich die scharfkantigen Bootsrumpfteile in Händen. Fast allein schaffe ich die Verkabelung. Georges Philippe Côté aus Montreal, der ein paar Monate in Berlin ist, überprüft alles, bevor ich den Strom anschalte. Sie leuchtet!

Die Montage des Schirms wird in naher Zukunft stattfinden. Wie lange ich noch brauche, wage ich nicht vorherzusagen. Danach aber werde ich jede Stunde an meinem Schreibtisch 228 Watt sparen – denn jede der vier Leuchtstoffröhren braucht nur 18 Watt. Und ich werde die Baupläne ins Netz stellen; vielleicht will ja jemand in Kapstadt, Elmshorn oder Rio auch so einen Deckenfluter bauen. Ich wäre glücklich, sollte es tatsächlich einmal ein Duplikat geben: Dann hätte sich die ganze Arbeit ja doppelt gelohnt. Open Source – jetzt leuchtet mir das Konzept ein.

Annette Jensen, 49, ist freie Journalistin in Berlin. Im Herbst erscheint ihr neues Buch: „Wir steigern das Bruttosozialglück“. Es geht um Menschen, die anders wirtschaften und besser leben. Zuletzt hat sie darauf verzichtet, von London nach Berlin zu fliegen, und stattdessen den Zug genommen

Das Lampendesign gibt es bald hier: www.hartzivmoebel.de