Solarfliegerstaffel steigt, Beschäftigung auch

STELLEN Das Potenzial: Die Grüne Wirtschaft schafft sechs Millionen Jobs – und das bis 2020. Das Problem: Die neuen Unternehmen wollen eigentlich gar nicht so schnell wachsen. Aber Gründerzeiten sind eben immer etwas verrückt

Und was ist das: Green Economy? Gehört der Mitarbeiter des Grünflächenamtes dazu? Die Umweltbeauftragte eines Unternehmens? Oder die Ingenieurin eines sparsamen Autos?

VON SVENJA BERGT

Das Gerät sieht aus wie eine Bassdrum, an die jemand den Griff eines Rollkoffers montiert hat. Weiß, mit einer Klappe, unter der sich eine Steckdose verbirgt. Doch man soll sie nicht vom Taxi zum Flughafen ziehen, sondern durch das Büro oder auch mal bis zur nächsten Parkbank. Denn das Gerät ist ein Akku.

Entwickelt hat ihn Younicos, ein Unternehmen in Berlin-Adlershof, in dem 2008 die Solon Laboratories, eine Tochter der Solarfirma Solon, und die I-Sol Ventures GmbH aufgingen. Mittlerweile tüfteln hier 40 Mitarbeiter an Lösungen zum Speichern von Energie. „Da ist noch Luft nach oben“, sagt Firmensprecher Philip Hiersemenzel. Younicos gehe es jedoch nicht darum, möglichst schnell möglichst viele Jobs zu schaffen. „Die Zahl wird nach oben gehen, aber sie wird nicht explodieren, das ist nicht unsere Philosophie.“

Politiker und Ökonomen allerdings reden längst von einem grünen Jobmotor. Das Bundesumweltministerium jubelt im Umweltwirtschaftsbericht: „Die Kurve zeigt nach oben.“ Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt in einem Bericht aus dem Jahr 2010: „Im Umweltschutz stehen die Zeichen auf Wachstum.“

Mehr Gleichheit, weniger ökologische Risiken

Doch wie genau dieses aussieht, wenn es um Arbeitsplätze geht, ist nicht so einfach zu beziffern. Denn wen oder was betrachtet man da eigentlich: Beschäftigte im Naturschutz, im Umweltschutz, in der Green Economy? Und was ist das: Green Economy? Gehört der Mitarbeiter des Grünflächenamtes dazu? Die Umweltbeauftragte eines Unternehmens? Die Ingenieurin eines sparsamen Autos?

Im Umweltprogramm der Vereinten Nationen wird „Green Economy“ als Wirtschaft mit verbessertem Wohlergehen und sozialer Gleichheit beschrieben, in der ökologische Risiken und Mängel reduziert werden. Das Schlagwort Ressourceneffizienz fällt, es geht um Reduktion von Emissionen, Erhalt von Biodiversität. Sehr konkret ist das nicht.

Die Zahlen, mit denen Verbände, Politik und Medien operieren, sind daher vor allem Annäherungen: So meldet der Bundesverband Erneuerbare Energien, dass die Zahl der Arbeitsplätze in der Branche von 1999 bis 2009 um 330 Prozent zugelegt habe. Die Autoindustrie sei im gleichen Zeitraum nur um 5 Prozent gewachsen. Nach Angaben des DIW ist die Zahl der Arbeitsplätze im Umweltschutz von 2002 bis 2006 bundesweit von 1,5 auf 1,8 Millionen gestiegen. Die Unternehmensberater von Roland Berger gehen in einer Studie für das Bundesumweltministerium davon aus, dass Umwelttechnik bis 2020 mit einem Anteil von 14 Prozent am Bruttoinlandsprodukt die wichtigste Industrie in Deutschland sein wird. Ebenfalls im Auftrag des Ministeriums wagt das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) eine Prognose: Bis 2020 könnten europaweit 6 Millionen zusätzliche Jobs geschaffen werden. Die EU müsse allerdings ein strengeres Ziel zur Senkung der CO2-Emissionen setzen, um den Veränderungsdruck auf die Wirtschaft zu erhöhen.

„Eine Größenordnung von 2 Prozentpunkten weniger Arbeitslosigkeit ist realistisch für Deutschland“, sagt Carlo Jaeger, Mitautor der PIK-Studie. Er glaubt sogar, dass es nicht bis 2020 dauern muss. „Wenn man jetzt einen kleinen Schubs gibt, kann die Wirtschaft in drei, vier Jahren in ein ganz anderes Gleichgewicht kommen.“ Mit Schubs meint er die Anstöße aus der Politik: Anreize, ökologisch zu investieren, etwa über Steuererleichterungen. Die meisten Arbeitsplätze würden wohl im Bausektor entstehen.

„Green Economy ist immer relativ“, sagt Sven Schreiber, der am Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung forscht. Sie müsse sich ständig verbessern, über die aktuellen Standards hinausgehen. Nicht jedes Unternehmen, das ökologische Vorteile bringt, gilt als Teil der Green Economy: „Wenn es um Förderung geht, würde man schon schauen, dass das Unternehmen explizit darauf abzielt, ein ökologisches Produkt oder eine ökologische Leistung einzubringen.“

Hiersemenzel sagt, Younicos habe bislang ohne Förderungen gearbeitet. „Wir wollten nicht darauf warten, sondern einfach anfangen.“ Die Firma zelebrierte die Einweihung einer neuen Halle zuletzt als Staatsgründung, mitsamt Nationalhymne, Garde und Solarfliegerstaffel aus Pappflugzeugen. „Man muss als Gründer immer etwas verrückt sein“, sagt Hiersemenzel. Immerhin müsse man sich in dieser Branche mit vielen großen Konzernen anlegen.

Ein bisschen von dieser Verrücktheit ist auch bei den Machern der „Agentur für angewandte Utopien“ zu spüren, obwohl sie einen ganz anderen Teil der Green Economy abdecken. In einer Altbauwohnung im Berliner Bezirk Treptow haben sich die drei Gründer niedergelassen. Noch sieht es spartanisch aus: ein paar Schreibtische, ein einsames Regal, eine Couch. Aus der Küche riecht es nach Kaffee. „Es herrscht eine große Visionsarmut“, erklärt Mitgründer Benjamin Kafka, wie der Name zustande gekommen ist. Seit Januar gibt es die Agentur, die die Welt etwas besser machen soll. Erst im April hat sie die Räume bezogen. „Wir wollen keine großen Gewinne machen“, sagt Kafka. „Aber wir wollen natürlich unseren Lebensunterhalt finanzieren und gleichzeitig etwas tun, das zu einem Wandel in Richtung einer grüneren Lebensweise führt.“

Netto bleiben den Utopisten 1.000 Euro

Das Konzept ist eine Mischung aus Dienstleistungen, die das Geld reinbringen sollen, und Vereinsarbeit, die das wohl eher nicht schaffen wird. Bezahlt werden wollen die Utopisten für Beratung und Moderation – zum Beispiel von Kommunen, die interessiert, wie sie auf eine Versorgung mit erneuerbaren Energien umsteigen können. 72.000 Euro muss die Agentur jährlich erwirtschaften, um Gehälter, Miete, Strom, Internet und Versicherungen zahlen zu können, sagt Kafka. Für den Anfang gebe es ein Nettogehalt von knapp 1.000 Euro. „Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn wir irgendwann noch mehr Leute anstellen können als die zwei, die wir schon haben.“ Und dann sagt Kafka fast den gleichen Satz, den auch Hiersemenzel vorgebracht hat: Man wolle nicht wachsen um des Wachstums wegen.

„Deutschland ist zum Laboratorium für grünes Wachstum geworden“, sagt PIK-Forscher Jaeger. Wenn das Experiment scheitere, bestehe die Gefahr, dass alle anderen Länder davor zurückschrecken. Deshalb sei es wichtig, dass die Politik jetzt die richtigen Entscheidungen treffe. Die Situation sei günstig, die Eurokrise zwinge zum Handeln, ökologische Werte seien stark. „Die Chance“, sagt Jaeger, „war noch nie so groß wie jetzt“.

Svenja Bergt, 28, ist Redakteurin in der taz-Berlin-Redaktion. Sie verzichtet auf den Parkausweis für Anwohner und kauft Parkscheine, wenn sie sich ein Auto leiht