ULRICH SCHULTE über den Klimawandel im Kleinen
: Wie mich der Affenbrotbaum zum Pflanzenrassisten machte

Mit einem energischen Ruck zieht meine Freundin die beiden Balkonkästen auseinander, in denen Lavendel und Minze, Margeriten und Petunien einträchtig Seit an Seit sprießen. „So, hier passt er noch hin.“

Ich habe auf unserem Nordneuköllner Balkon still und froh vor mich hin gedöst, versteckt hinter der Wochenendausgabe einer überregionalen Qualitätszeitung, und ich ahne: Damit ist es jetzt vorbei. „Wer passt hier noch hin? Ich finde, es ist ganz schön voll hier.“ „Der Affenbrotbaum. Und stell dich bloß nicht an: Deine komische Minze wuchert sowieso wie verrückt, die wird er nicht stören.“

Jetzt nur keinen Fehler machen. Es stimmt, ich brauche nicht jeden Tag eine Veränderung. Wenn die Dinge ihre natürliche Ordnung gefunden haben, sollte man sie darin nicht ständig stören. Und richtig, ich mag die Pflanzen am liebsten, die ich essen kann, denn dafür sind sie da – Minze, Basilikum und Thymian in mehreren Töpfen habe ich auf unseren vier Freiluftquadratmetern durchgesetzt.

Ich mustere den Balkonneuling misstrauisch: Er schmeckt bestimmt nicht. Unten sind seine holzigen Stängel nackt, oben treiben dicke, fleischige Blätter. Der Affenbrotbaum ist eine missglückte Mischung aus Palme und Kaktus, eine Zierde ist er nicht. „Er sieht hässlich aus, irgendwie unnatürlich.“ „Er sieht anders aus.“ „Er passt nicht auf unseren Balkon.“ „Er bleibt. Du hast doch ein Problem mit allem, was nicht nach 08/15-Planze aussieht. Außerdem kann er Hitze vertragen.“

Ich setze den fruchtbaren Dialog aus drei Gründen nicht fort. Erstens: Ästhetische Diskussionen über die Wohnungsausstattung laufen zwischen meiner Freundin und mir immer gleich ab. Wir argumentieren, wir streiten, dann machen wir es so, wie meine Freundin will. Zweitens: Der Vorwurf, ich sei ein Pflanzenrassist, ist mir einfach zu billig. In unserem Kiez leben so viele Ethnien, dass es auf einen Affenbrotbaum mehr oder weniger nicht ankommt. Drittens: Das Ding sieht wirklich hartgesotten aus. Und fürs Gießen bin ich zuständig.

In Brandenburg mag die Versteppung drohen, auf unserem Balkon herrschen Zustände wie in der Sahelzone. Er liegt nach Südwesten, er liegt ganz oben und deshalb ungeschützt. Die Sonne knallt bis zum frühen Abend erbarmungslos auf unsere Balkonkästen; der Wind, der in der Weite des Flughafens Tempelhof ungehindert einfällt, dörrt die Erde zusätzlich aus.

Mit der Zeit haben der Affenbrotbaum und ich eine friedliche Koexistenz entwickelt. Er fühlt sich pudelwohl, treibt jedenfalls viele frische, fleischige Blätter aus. Ich gieße ihn ab und zu. Und wenn ich zufällig mit der Gießkanne diese Gummidinger streife, so dass zwei, drei abbrechen, matschen sie lustig zwischen den nackten Zehen.

Dann kommt der Regen. Auch hier verhält sich unser Balkon wie die Sahelzone, in der das Wasser lebensgefährlich durch ausgetrocknete Rinnen schießt. Durch ein Loch in der Regenrinne ergießen sich Sturzbäche in eine Ecke und pflügen zarte Sonnenblumen um, bevor sie gurgelnd im Abfluss verschwinden. Auch der Affenbrotbaum kriegt Probleme: Um seinen holzigen Stängel herum steht das Wasser. Ich habe natürlich schnell meiner Freundin Bescheid gesagt. Die Folge: Er steht jetzt wieder drinnen, in einer Ecke des Schlafzimmers. Die Natur weiß eben am besten, was ihr gut tut.

Das Wochenendwetter: Unbeständig, ab und zu Schauer, um 20 Grad Der Tipp: Auf Südbalkonen Regenschirme auch gegen die Sonne einsetzen Wo laufen Sie heiß? erhoehtetemperatur@taz.de