Entführer zwingen zur Ehrlichkeit
: KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Es gibt im Zusammenhang mit Terrorismus nur wenig dümmere Äußerungen als die martialische Behauptung, der Staat lasse sich nicht erpressen – oder, wahlweise, der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen. Selbstverständlich ist der Staat genau wie jeder einzelne Mensch erpressbar, und er darf sich auch erpressen lassen. Unterstellt, eine Terrorgruppe verlangte für das Leben von Geiseln den Gegenwert von umgerechnet 100 Euro: Keine Regierung würde für diese Summe das Leben von Entführungsopfern aufs Spiel setzen, und die Öffentlichkeit würde das auch nicht verlangen. So weit hergeholt ein solcher Fall auch sein mag, er beweist: Es geht nie ums Prinzip. Sondern immer um den Preis.

Diese Erkenntnis bedeutet nicht, dass der Staat jeder Forderung nachgeben darf, weil das Leben das höchste aller Güter ist. Eine solche Forderung wäre gleichfalls absurd. Wer seine Politik an den jeweiligen Wünschen von Erpressern orientiert, ist handlungsunfähig. Die Erkenntnis bedeutet aber durchaus, dass eine Politik von einer umso breiteren Mehrheit getragen sein muss, je eher sie das Risiko einer konkreten Gefährdung der Öffentlichkeit in sich birgt.

Keine Militärintervention der letzten Jahre ist in der Vergangenheit auf nennenswerten Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Das hatte – auch – den Grund, dass die jeweiligen Kriege immer sehr weit weg zu sein schienen. Die Frage, ob man sie für richtig oder für falsch halten sollte, schien in Berlin, Heidelberg und Cottbus stets eher theoretischer Natur zu sein.

Aber jetzt gibt es Anschlagsdrohungen und Geiseln sollen sterben, weil die Bundeswehr sich künftig mit Aufklärungsflugzeugen an den Kämpfen in Afghanistan beteiligen wird. Das rückt den Hindukusch in die unmittelbare Nachbarschaft von Berlin.

Es gibt gute Gründe, gegen die Entsendung von „Tornados“ zu sein. Welche Gründe sprechen dafür? Zukunft der Nato und Angst vor der Entsendung von Bodentruppen? Darüber muss endlich offen geredet werden. Die Nebelwerfer, die bisher in der Debatte benutzt wurden, werden nicht mehr funktionieren, wenn Tote zu beklagen sind. Etwas vermögen Erpresser nämlich allemal: Ehrlichkeit zu erzwingen.