IG Metall will Chemie-Abschluss übertrumpfen

Gewerkschaft beharrt auf 6,5 Prozent mehr Lohn und verweist auf die guten Rahmendaten der eigenen Branche

BERLIN taz ■ Der relativ hohe Tarifabschluss in der Chemieindustrie ist für die Metallarbeitgeber und die IG Metall kein Vorbild für die eigene Branche. Doch freuen wird das die Unternehmen keineswegs: Die Gewerkschaft hat am Wochenende klar gemacht, dass sie das Chemie-Ergebnis für die heute beginnenden Verhandlungen nur als Basis für einen noch höheren Tarifabschluss sieht. „Unsere Rahmendaten in der Metall- und Elektroindustrie sind noch um einige Punkte besser“, sagte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Detlef Wetzel. Die Chemie-Industrie hatte am vorigen Donnerstag die erste Marke in diesem wichtigen Tarifjahr gesetzt, in dem neben der Metallbranche auch noch Verhandlungen für den Bau, die Druckindustrie oder den Einzel- und Großhandel anstehen.

Die Chemiegewerkschaft erzielte für ihre 550.000 Beschäftigten einen Abschluss von 4,3 Prozent mehr Lohn. Darin enthalten ist eine Einmalzahlung in Höhe von 0,7 Prozent, die in Betrieben mit wirtschaftlichen Problemen bei Zustimmung des Betriebsrats gesenkt werden kann. Die Gewerkschaft hatte bis zu 4,5 Prozent mehr Lohn gefordert. Die IG Metall will für ihre 3,4 Millionen Beschäftigten dagegen 6,5 Prozent mehr Gehalt, so viel wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die Verhandlungen beginnen heute in Nordrhein-Westfalen, die anderen Tarifbezirke folgen.

Kein Wunder, dass der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schon dreißig Minuten nach Bekanntwerden des Chemie-Ergebnisses die Deutungshoheit im Kampf mit der IG Metall beanspruchte. „Dieses Ergebnis mag aus der Sicht der chemischen Industrie gerade noch erträglich sein, aber unsere Unternehmen wären damit überfordert“, ließ Gesamtmetall-Chef Martin Kannegiesser verlauten.

Aber auch die Metall-Arbeitgeber können dem Chemie-Abschluss einiges abgewinnen, weil ein großer Teil der Lohnerhöhung nur über Einmalzahlungen ausgeschüttet wird. „Eine verantwortungsvolle Entscheidung“, sagte Kannegiesser. „Das Modell des zweigeteilten Abschlusses hilft den Betrieben wie den Beschäftigten.“ Die IG Metall dagegen lehnt Einmalzahlungen ab, weil diese anders als prozentuale Erhöhungen nicht in die Lohntabelle einfließen.

„Das deutliche Signal der Chemiebranche muss sich gesamtwirtschaftlich erst noch realisieren“, sagte Reinhard Bispink, Tarifexperte bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, der taz. So gebe es allein für 5,6 Millionen Beschäftigte in diesem Jahr keine Verhandlungen, weil in Branchen wie dem öffentlichen Dienst längerfristige Tarifverträge abgeschlossen wurden und die Lohnsteigerungen für 2007 mit durchschnittlich nur 1,3 Prozent schon feststünden. Für diese Beschäftigten stellt sich die Frage nach dem Vorbild des Chemie-Abschlusses überhaupt nicht. THILO KNOTT