Mit der „Flatrate“ ins Koma

Kaum liegt ein 16-Jähriger nach dem „Genuss“ von 52 Tequila im Koma, schon steht die Politik mit neuen Verbotsvorschlägen auf der Matte: Brauchen wir ein neues Mindestalter für Alkoholkonsum?

Ja! Man nimmt Drogen, weil man sich entgrenzen will: Das ist unter Jugendlichen immer und überall Trend gewesen – und er kommt jetzt über Worte wie „Komasaufen“ oder „Flatratetrinken“ zum Begriff. Das ist nicht hinzunehmen – auch wenn alle erwachsene Welt glaubt, der Missbrauch von Alkohol habe doch in Spörls Film von der „Feuerzangenbowle“ ein glückliches Ende gefunden.

SchülerInnen, die nur dann als cool gelten, wenn sie die 0,8-Promille-Grenze für spießig halten und den Filmriss nach 45 Tequila für die pubertäre Initiation schlechthin: Das ist in jeder Hinsicht nicht okay, gesundheitlich ohnehin. Jeder Wunsch nach Grenzverletzung lebt vom heimlichen Einverständnis Erwachsener, weil sie es offenkundig nicht mehr gewohnt sind, die Einhaltung von Grenzen auch zu fordern. Wenn Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher nun anmerkt, das Jugendschutzgesetz müsse nur besser durchgesetzt werden, man vor allem „mehr Aufklärung, Prävention und Kontrolle“ bräuchte, dann kommt das einer Bagatellisierung gleich: Sie agiert nur wie eine Religionslehrerin, der zu den drängendsten Sinnfragen auch nur die Empfehlung in den Sinn kommt, abermals die Bergpredigt vor dem Einschlafen zur Lektüre zu wählen.

Jugendliche werden in Supermärkten und in Kneipen auf ihr Alter nicht kontrolliert: Man will ja keinen Ärger.

Eine Lösung wie in Schweden wäre die beste: Alkoholisches gibt es dort nur in Spezialgeschäften und gegen Vorlage eines Personalausweises. Wer jünger als 18 ist, muss mit Leichtbier vorlieb nehmen – Schnaps, Wein und anders Hochprozentiges an Jugendliche zu verkaufen ist illegal. Werbung für Alkohol ist in Skandinavien untersagt.

Wer argumentiert, Verbote wären nie hilfreich, liegt falsch. In Norwegen und Schweden gibt es Alkoholismus – aber er fällt viel geringer aus als in Ländern wie Deutschland, in denen das rauschhafte Besäufnis zum Wochenende als gesellschaftsfähig gilt. Der Konsum von Drogen wie Alkohol will gelernt sein. Mit Flatratetrinkerei ist pädagogisch nichts zu gewinnen: Man lernt nur, optimal krank zu werden.

JAN FEDDERSEN

Nein, um Gottes willen! Probleme sind keine Probleme, wären sie mit staatlichen Verboten einfach auszuräumen. Sie tauchen dann, wie es sich für echte Probleme gehört, einfach an anderer Stelle wieder auf. Erinnert sich noch jemand an den Streit um Alkopops? Am Ende wurde diesen tückischen Getränken mit einer drastisch erhöhten Steuer der Garaus gemacht. Mit dem Ergebnis, dass die potenzielle Kundschaft eben gleich auf „harte“ Drogen wie Tequila oder Wodka umgestiegen ist, um ihre jahrtausendealten Initiationsrituale abzuhalten. Würde morgen der Teufel Alkohol ganz vom Angesicht der Erde getilgt werden, jede Wette, die Kids würden schon übermorgen im Wald die adäquaten psyloglobinen Pilzchen gefunden haben!

Ein Begriff wie „Komasaufen“ bringt das eigentliche Ziel jugendlicher Zecherei schön sachlich auf den Punkt, bezeichnet aber auch nichts anderes als das dionysische Auf- und Verlorengehen des Individuums im Rausch. Eine extreme Erfahrung, nach der man, eventuell geläutert, wieder zur Tagesordnung übergeht – oder aber, als Wrack, ein trauriges Beispiel dafür abgibt, wie konsequent die Natur heutzutage ihr altes Geschäft der Auslese betreibt. Dem Exzess, der Entgrenzung und der Evolution ist durch Aufrufe zur Enthaltsamkeit, die Errichtung neuer Grenzen oder Appelle an die Vernunft nicht beizukommen.

Anders freilich verhält es sich mit dem „Flatrate“-Saufen, mit dem sich ironischerweise ein Terminus aus der Kommunikationstechnologie in die Kneipe geschlichen hat. Das „Koma“ ist nur ein kindischer Wunsch, die „Flatrate“ aber ein professionell-unanständiges Angebot zum kürzesten Weg ins Nirwana.

Ein neues Mindestalter für Alkoholkonsum würde den Exzess nur aufwerten. Sinnvoll sind Verbote nur dann, wenn sie jene Hersteller und Gastronomen treffen, die sich durch Ermunterung und Ausbeutung ihrer Kundschaft zum falschen Komplizen der adoleszenten Ausschweifung machen.

„Alkohol“, das wusste schon der große US-Philosoph Homer Simpson, ist eben „der Ursprung und die Lösung sämtlicher Lebensprobleme“. ARNO FRANK