Faust aus Faust

THEATER Die Methode Faust als Extrakt und neuer Weltentwurf: Das Stück „Faust hoch zehn“ am Theater Bremen möchte den Goethe-Klassiker in eine Denkbewegung verwandeln

Wie lange soll das denn bitte dauern? Das mochte denken, wer Michael Börgerding, Intendant des Bremer Theaters, bei der letzten Spielzeitpressekonferenz einen Abend mit dem Titel „Faust 1–3“ ankündigen hörte. Und überhaupt: Teil 3? Ein verschütt’ gegangener Goethe?

Zumindest diese Frage war schnell geklärt: Beim dritten Teil handele es sich um „FaustIn and out“ von Elfriede Jelinek, ein – wie die Dichterin es nennt – „Sekundärdrama“, gedacht ausdrücklich und ausschließlich zur Aufführung im Rahmen einer Goethe-Inszenierung. Und für sich allein von der Länge her schon für einen ganzen Abend gut.

Aber keine Bange: Was da am heutigen Samstagabend im Kleinen Haus Premiere feiert, dauert gerade mal zwei Stunden. Und heißt schon seit längerem nicht mehr „Faust 1–3“, sondern „Faust hoch zehn“. Was sozusagen homöopathisch zu verstehen sei, erklärt Dramaturg Tarun Kade, als Potenzierung der Essenz: „Es geht uns darum, den Faust anzuwenden als einen Menschen, der alles studiert hat und dann in die Welt hinausgeht und versucht, neue Welten zu entwerfen.“ Als Menschen, der sich frage: Bin ich ein Gott oder ein Wurm? Dem es durch seinen Pakt mit dem Teufel gelinge, seine Grenzen immer weiter zu verschieben. „Diese Bewegung versuchen wir in unserem Projekt ernst zu nehmen“, sagt Kade, „und damit auch unsere Grenzen zu verschieben, die nicht zuletzt auch die Grenzen von Theater sind.“

Weshalb „Faust hoch zehn“ die Parameter einer klassischen Inszenierung sprengt: Neben einem sechsköpfigen Schauspielensemble sind die Opernsängerin Marysol Schalitt, die Tänzerin Magali Sander Fett und der Musiker Matthias Krieg dabei; Bühne und Kostüme besorgt Knut Klaßen, eher bildender Künstler als klassischer Bühnenbildner und bekannt durch grenzgängerische Tanztheaterarbeiten mit der Regisseurin Monika Gintersdorfer und europäisch-afrikanischen Ensembles. Und schließlich ist da noch der Regisseur Max Linz, dessen Film zu „FaustIn and out“ das Ganze eröffnet.

Dabei werden die Grenzen des Textes erheblich verschoben. „Wir haben begonnen, Motive zu entkoppeln“, erzählt Felix Rothenhäusler, der Regisseur des Abends: „Wir haben Texte aus Faust 1 und 2 zusammengestellt und mit den Schauspielern gelesen, um sie als Denkbewegung anzuwenden.“ Die Frage sei gewesen, welche Welten man aus dem Heute heraus entwerfen könne: „Mit welchen Erfahrungen lässt sich das aufladen, damit es eine gewisse Zeitgenossenschaft bekommt? Daraus sind neue Texte entstanden, gemeinsam mit den Spielern.“

Weltschöpfung „vom Neoliberalismus besetzt“

Die Methode Faust als Extrakt also. Wobei es auch um eine politische Idee gehe, führt Kade aus: „Man könnte sagen, dass die Idee der Weltschöpfung derzeit eher vom Neoliberalismus besetzt ist.“ Geht es nach dem Regisseur, hat die Linke heute solche Schwierigkeiten, Visionen zu entwickeln, weil diese Visionen vom System usurpiert sind. „Man muss das aber trotzdem betreiben“, findet Kade, „selbst wenn man dabei scheitert oder irgendwann vereinnahmt wird.“ Selbstermächtigung? „Zumindest als Behauptung“.

Einerseits sei Faust einer, der wahnsinnig viel erreicht, andererseits gehe er über Leichen, sagt Kade: „Im einen Moment ist er Kriegstreiber, in einem anderen ist er Spekulant, im nächsten ist er ein Liebender. Er geht immer weiter, und darin steckt auch eine große produktive Kraft, die nicht automatisch zum Burn-out führen muss.“ Es versteht sich von selbst: Diesem Weitergehen wohnt die Gefahr des Scheiterns inne.

Vielleicht sei man zur Premiere noch nicht fertig, sagt Kade mit Blick auf den Laborcharakter des Abends. „Aber wir glauben, dass es wertvoll ist, das als Experiment zu betreiben.“ ANDREAS SCHNELL

■ Premiere: Sa, 18. 10., 20 Uhr, Bremen, Kleines Haus www.theaterbremen.de