Ein schlecht geschriebenes Drehbuch

Vier Minuten länger als vor sechs Jahren durfte Schalke 04 von der Meisterschale träumen. Am Ende blieb den Gelsenkirchenern wieder nur der Vize-Titel – zum Glück hatten sie sich darauf intensiv vorbereitet

GELSENKIRCHEN taz ■ Die Vorbereitung zahlte sich aus. Eine Woche hatten die Schalker Zeit, sich damit abzufinden, dass ihr Vereinsname auch im Jahr 2007 nicht in die Meisterschale graviert wird. Bei Manager Andreas Müller muss die Hoffnung auf eine neuerliche Wende so gering gewesen sein, dass er kurz nach dem 2:1-Sieg gegen Arminia Bielefeld schon zu einem Scherz aufgelegt war. In der Diktion eines gehässigen BVB-Fans sagte er: „Wir haben es geschafft, acht Minuten Deutscher Meister zu sein. Das ist immerhin eine Steigerung auf das Doppelte.“

Am 19. Mai 2001 wähnten die Schalker die Schale vier Minuten in ihren Händen. Als die Bayern sie ihnen in allerallerletzter Sekunde entrissen, war das größte anzunehmende Drama der Bundesliga-Geschichte geschrieben. Genau sechs Jahre später gab es in Gelsenkirchen kaum eine Träne zu sehen. Das Drehbuch des letzten Spieltages war viel zu schlecht geschrieben. Wenn ein Film bis 17.20 Uhr dauert und die Spannungskurve um kurz vor vier dramatisch abfällt, gehen die Zuschauer nach Hause und werden schon bald die letzte Stunde vergessen haben.

In Erinnerung bleibt jedoch der Urschrei um 15.48 Uhr, als auf dem Videowürfel eingeblendet, was viele im Radio schon gehört hatten: Stuttgart null, Cottbus eins. Schalke, das stürmte wie noch nie in dieser Saison, führte durch Treffer von Lincoln (11.) und Halil Altintop (16.) mit 2:0. Die Gefahr eines Hörschadens war enorm hoch. Dass der VfB zum Ausgleich traf, wurde genauso wenig eingeblendet wie später der Stuttgarter Siegtreffer, aber die Stille in der Arena zeigte an, dass jeder informiert war. Es musste ja so kommen.

Die Fans, die ihrer Mannschaft nach der Niederlage in Dortmund noch mit Liebesentzug auf ewige Zeiten gedroht hatten, zeigten sich nach dem Schlusspfiff versöhnlich. Sie feierten Trainer Mirko Slomka und die Spieler, die in Badelatschen auf dem Platz standen.

Als er dann Turnschuhe anhatte, spulte Fabian Ernst noch einmal den langen Film ab: „Ich will nicht sagen, dass es noch nie so einfach war, Deutscher Meister zu werden. Aber es war schon verdammt einfach.“ Torwart Manuel Neuer schickte artig Glückwünsche an den VfB, der „in der Schlussphase schlauer und konsequenter“ gewesen sei. Ein Vorteil der Schwaben war auch, dass sich in ihren Köpfen nicht diese fürchterlichen Zahlen eingebrannt hatten: 1958 und 49. Die erste markiert das Jahr der letzten Schalker Meisterschaft, die zweite drehte Trainer Slomka ganz einfach weiter, als würde er ein Kalenderblatt abreißen. Es sei doch „ein schönes Thema“, den Angriff auf den Titel ein halbes Jahrhundert später wieder zu starten. Dem Manager war das etwas zu forsch: „Es ist zu früh, Ziele für die nächste Saison zu formulieren, da müssen wir vorsichtig sein.“

Müller wird in erster Linie die Bayern gemeint haben, als er davon sprach, dass die Konkurrenz „aufrüsten“ werde. Die Münchner planen das in einem Umfang, der für die Schalker trotz der direkten Qualifikation für die Champions League nicht möglich sein wird. Nach der Verpflichtung des ablösefreien Jermaine Jones soll mit Albert Streit ein weiterer Spieler von Eintracht Frankfurt kommen. Bei Heiko Westermann von Arminia Bielefeld steht eine Einigung der Vereine über die Ablösesumme aus.

Schrecken werden diese Namen keinen Konkurrenten. Marcelo Bordon glaubt dennoch an eine neue Chance: „Sonst könnte ich ja in Brasilien bleiben.“ Heute wird der Kapitän zusammen mit seinem Vater dorthin fliegen. Celso Bordon, 65, war am Samstag zum ersten Mal in der Arena. Der Sohn hatte ihn darauf vorbereitet, dass es sehr wahrscheinlich nichts zu feiern geben wird. MARCUS BARK