In der Hölle des kleinen Mannes

Seine Videos heucheln Interesse an Arbeitern und machen die Betrachter zu Bürgersnobs, die für Prolls nur Verachtung kennen: Bevor der Künstler Artur Zmijewski zur Documenta reist, zeigt der Neue Berliner Kunstverein seine „Ausgewählten Arbeiten“

VON HENRIKE THOMSEN

Dass die Hölle nichts anderes ist als die ewige Wiederkehr des immer Gleichen, ein Dasein ohne Sinn und Ziel – diese böse Ahnung findet man schon bei Nietzsche, Marx und Benjamin. Neuerdings erfährt sie eine Wiederbelebung durch den Künstler Artur Zmijewski, der mit seinen Videoarbeiten in den letzten Jahren die internationale Szene erobert hat. Zmijewski gestaltete den polnischen Pavillon auf der Venedig-Biennale 2005, er bekam eine Solo-Schau in der Kunsthalle Basel und nahm an Ausstellungen in der Kunsthalle Wien und im Barbican Centre in London teil. Und in diesem Sommer gehört er zu den von der Documenta Auserkorenen. Umso stolzer ist der Neue Berliner Kunstverein NBK, dass er noch vor dem Start in Kassel eine Sonderschau mit „Ausgewählten Arbeiten“ des 39-Jährigen präsentieren kann.

Schon der Titel der Schau allerdings ist ein Hohn. Denn in den „Ausgewählten Arbeiten“ fehlt es gleich auf zwei Ebenen an bedachter Auswahl: Den Videoarbeiten mangelt es an jeglicher Besonderheit genauso wie an einem Gespür für die individuelle Kostbarkeit ihrer Subjekte. Stattdessen geht es um die ewige Wiederkehr des immer Gleichen – um die Hölle des kleinen Mannes bzw. der kleinen Frau. Zmijewski zeigt das Leben der mexikanischen Imbissköchin Yolanda, der Berliner Hotdog-Verkäuferin Patricia, des italienischen Bauarbeiters Salvatore, der polnischen Kassiererin Dorota und sechs weiterer ArbeiterInnen in dokumentarischen Kurzfilmen als Endlosschleife der Banalität.

Egal an welchen Fleck auf dem Globus es ihn verschlägt, er findet überall die gleichen tristen Bilder: frühes Aufstehen mit hässlich kreischenden Weckern, Zähneputzen, die Fahrt zur Arbeit im Dunkel und bei Regen, lange Arbeitstage in Räumen ohne Rückzugsmöglichkeit, Abende vor dem Fernseher oder dem Computerspiel. Sogar im Schlaf ähneln sich Zmijewskis Protagonisten, die er 24 Stunden lang mit der Kamera begleiten durfte. Einzig die Stressquellen machen in seiner Lesart noch einen Unterschied in den Biografien der heutigen Arbeiterklasse: Yolanda spritzt das Fett um die Ohren, Patricia hat eine weinerliche Tochter, Salvatore muss zähe Betonmassen manövrieren.

Das Bedrückende ist trotzdem keineswegs das jeweilige Leben, in das man vagen Einblick erhält, sondern die Haltung des Künstlers. „Alles, was sie in ihrem Leben machen, ist uninteressant“, behauptet Zmijewski im Katalog über seine Protagonisten und hat dafür gesorgt, dass die Bilder diese Behauptung einlösen: In 24 Stunden bekommt er keinen einzigen Moment zu packen, der einen Zugang zu ihren persönlichen Gedanken und Gefühlen erlaubte. Man muss aber bloß die herbe, hoheitliche Patricia oder den versonnen Salvatore ansehen, um zu wissen, dass sie weder abgestumpfte Maschinen noch Opfer ihrer Umstände sind. Es ist Zmijewskis Blick, der dies behauptet. Man lernt bei ihm gerade nichts über den Alltag des heutigen Proletariats, was man nicht ohnehin schon selber beobachtet hat. Er bedient alle Klischees, seine Kritik ist veraltet, eine Utopie bietet er nicht an.

Der riesige dokumentarische Aufwand, den er für die Filme betrieben zu haben scheint, ist bloß vorgeschoben, tatsächlich geht es ihm um den Vorführeffekt: „Wie waren die Reaktionen der Zuschauer auf Filme über die Arbeitswelt? Ekel … Das ist für Zuschauer der Mittelschicht im Endeffekt nicht akzeptabel. Das sind Filme über irgendwelche abstoßenden Wesen und ihre erniedrigenden Gewohnheiten“, sagt Zmijewski. Tatsächlich legitimiert er auf Kosten der Galeriebesucher seinen eigenen erniedrigenden Blick und unterstellt einer Bourgeoisie, die als geschlossene Klasse so gar nicht mehr existiert, seine eigene Menschenverachtung.

Verachtung und eine seltsame Uneigentlichkeit zeichnen auch frühere Arbeiten Zmijewskis aus, die zusätzlich in der NBK-Ausstellung zu sehen sind. In „80064“ überredete er einen polnischen Auschwitz-Überlebenden, die eintätowierte Häftlingsnummer auf seinem Arm aufzufrischen. Doch „80064“ ist keine Arbeit über Erinnerung und Würde der Opfer im Sinne der Installationen von Christian Boltanski. Vielmehr scheint Zmijewski erneut nur den Betrachter provozieren zu wollen und denunziert dabei die Einfalt des alten Mannes, der sich auf das Experiment einlässt. „Lisa“ wiederum ist das Porträt einer jungen Deutschen, die mit blutigen Visionen und dem Gefühl der Heimatlosigkeit nach Jerusalem ging. In Jad Vaschem glaubte sie, sich in dem Foto eines in Auschwitz ermordeten Jungen wiederzuerkennen. Es wird offenbar, dass die junge Frau an einer schweren Psychose leidet und Hilfe bräuchte. Stattdessen liefert Zmijewskis Kamera sie dem Voyeurismus aus und macht zeitgleich aus dem Betrachter einen Kunden der Oliver-Geissen-Show auf RTL, wo das Format seinen Platz hätte.

Bis 24. 6., NBK , Chausseestr. 128/29, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa./So. 14–18 Uhr