Staatsschule, das heißt: Keiner macht’s

Sie gelten als Musterschulen. Jetzt kracht es und zwei Berliner Grundschulen werden zu Exempeln für die Verantwortungslosigkeit im Schulsystem

Die Berliner Papageno-Grundschule ist eine musikbetonte Schule, die ihren Erstklässlern eine Stunde musikalische Früherziehung angedeihen lässt und den Zweitklässlern ein Instrument. Da will man hin.

Die Thomas-Mann-Schule im Prenzlauer Berg glänzt durch reformpädagogischen Ansatz. Seit 2000 wird dort jahrgangsübergreifend unterrichtet. Dort helfen Eltern schon mal mit Anwälten nach, wenn ihr Kind nicht direkt Einlass findet.

Und obwohl sie als Musterschulen gelten, gibt es jetzt Stress. Schulleiter und Schuladministration giften sich an. Die Thomas-Mann hat fast alle Extrastunden rasiert, die ihr für pädagogische Förderungen zur Verfügung stehen. Es gebe zwar null Unterrichtsausfall, vermeldete die Schule. Allerdings zu dem Preis, dass 91,7 Prozent der Teilungsstunden, der sonderpädagogischen Förderung und der Integration wegfallen, um kranke Lehrer zu vertreten. „Wir haben keine andere Wahl“, sagt Schulleiterin Gabriela Anders-Neufang, „zur Absicherung der gesamten Stundentafel werden alle Extrastunden genutzt“.

Als der Fall durch eine Anfrage im Landesparlament stadtbekannt wurde, keilte Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) zurück: „Bei kurzfristigen Vertretungen … ist Mehrarbeit eine geeignete, organisatorisch unverzichtbare Maßnahme.“ Auf Deutsch: Ich kann als Minister nicht jede einzelne Schule steuern, übernehmt Verantwortung! Anders-Neufang sagt dazu, dass die Personalmittel einfach zu knapp bemessen seien: „Der Staat hat eine gewisse Verantwortung.“

Während der Betrieb an der Thomas-Mann weitergeht, droht wenige hundert Meter Luftlinie entfernt in der Papageno-Schule Land unter. Auch dort opfert die Schulleiterin reihenweise die wichtigen Föder- und Teilungsstunden. „Wir haben einen hohen Krankenstand“, klagt Brigitte Stemmler, darunter Dauerausfälle, zu denen ausgerechnet die sonderpädagogische Förderlehrerin zählt.

Die Reaktionen an der Papageno kann man nicht anders als rabiat bezeichnen. Gerade wurde in einer Schulkonferenz mitgeteilt, dass es in der ersten Jahrgangsstufe zu viele „nicht schulreife“ Kinder gebe. „Sie haben altersbedingte Entwicklungsrückstände, manche können nicht mal eine Schere benutzen“. Die Schule hat sich daher entschieden, in jeder ihrer ersten Klassen jeweils sechs Kinder sitzen zu lassen. Das ist deswegen bemerkenswert, weil es Sitzenbleiben in der neuen Berliner Schulanfangsphase gar nicht mehr gibt. Die Kinder werden ab fünfeinhalb Jahren eingeschult – um dann jahrgangsübergreifend und individuell betreut zu werden – jedenfalls in der Theorie.

Schulleiterin Stemmler kennt ihre Verantwortung: „Wir Lehrer müssen die Voraussetzungen für das individuelle Lernen schaffen“, sagt sie – und fügt an: „Das neue System der Altersmischung ist für uns nicht machbar. Ich kann nicht versprechen, dass wir daran teilnehmen werden.“ Das klingt wie Sabotage.

Die Situation ist vertrackt. An vielen Schulen wird die Altersmischung längst praktiziert – mit Erfolg. Etliche Schulen weigern sich aber trotzdem mitzumachen. Und der Senator weigert sich, mehr Geld für Extrastunden auszugeben. Professionelle Beobachter sind verzweifelt. „Die Schulanfangsphase ist der Paradigemenwechsel zum individuellen Lernen, den wir brauchen“, sagt etwa die FDP-Bildungsexpertin Mike Senftleben. Wie bringt man das Projekt zum Erfolg? „Wenn die Schulleitungen endlich genug Geld bekommen – und die Kompetenzen, selbst darüber zu entscheiden. Dann könnte das Projekt gelingen.“

Die Mann- und die Papageno-Schule sind Musterschulen. Exempel dafür, dass die Verantwortungslosigkeit eine Ende haben muss. CHRISTIAN FÜLLER