Huf- und Tastengeklapper

In ihrem zweiten Roman schlägt sich Heike Geißlers Heldin mit einer Schreibkrise herum. Die Autorin leider allerdings auch. Nicht dass das tragisch wäre

Nicht zufällig gibt es in Niedersachsen ein „Stipendium für das zweite Buch“. Denn mit dem tun sich Autoren bekanntlich am schwersten. Dass es eine reichlich vertrackte Sache ist, davon kann man sich im zweiten Roman von Heike Geißler überzeugen. Für ihr 2002 erschienenes Debüt „Rosa“ wurde die Autorin nicht nur mit dem Alfred-Döblin-Förderpreis ausgezeichnet, auch in der Kritik gab es fast durchweg ein positives Echo. Nun hat die Dreißigjährige ein Buch über das Scheitern beim Schreiben geschrieben.

„Nichts, was tragisch wäre“ heißt das schmale Bändchen. Und verglichen mit ihrem ersten Roman, in dem eine junge Mutter vor dem Leben mit ihrem ungewollten Neugeborenen davonläuft, klingt es auch erst mal von der Problemlage her heruntergedimmt. Es geht um die alltäglichen Schwierigkeiten des Schreibens: Eine junge Autorin sitzt vor ihrem unabgeschlossenen Manuskriptstapel, sie ordnet die Blätter mal so und mal so und wünscht sich nichts mehr, als endlich ein Ende für ihre Geschichte zu finden. Nichts, was tragisch wäre, also.

Dass aus der Geschichte ihrer Erzählerin nichts wird, erklärt Geißler nicht mit Einfallslosigkeit. Es kommt schlimmer: Die Figur der unvollendeten Geschichte entwickelt ein Eigenleben, das nicht mit den Plänen ihrer Erfinderin zusammenpassen will. Während die Erzählerin sich müht, ihrer Figur eine Liebesgeschichte anzudichten, will die lieber auf einem Schimmel umherreiten. „Ich bin ein geborenes Cowgirl“, ruft sie und ist samt Pferd schon über die nächste Hecke, während die Erzählerin voll Verzweiflung am Schreibtisch zurückbleibt. So verzweifelt ist sie, dass man sie schließlich in einem bauschigen Abendkleid auf dem Dach eines Plattenbaus in ihrer Heimatstadt Halle trifft, von dem sie sich herunterstürzen will. Wenn schon die Figur sich ihrer Regie entzieht, will die Erzählerin zumindest ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand nehmen. Doch fällt auch dieser Plan derselben Unentschlossenheit zum Opfer, der schon zur Schreibhemmung geführt hat.

Dieses Huf- und Tastengeklapper klingt ganz nach einer Satire auf den künstlerischen Selbstzerfleischungsprozess. Ganz offensichtlich allerdings hat Heike Geißler gar nicht vor, eine Parodie zu schreiben. Im Gegenteil. Dass ihr die Geschichte über eine verhinderte Erzählerin bitterernst ist, soll durch die streckenweise elegische Sprache noch einmal beglaubigt werden.

Dieses Zusammenspiel von ausgestellter Ernsthaftigkeit und unfreiwilliger Komik lässt schwerlich übersehen, dass die Verstrickung der Autorin in die Problematik ihres Romans größer ist, als sie vielleicht zugeben mag. Denn es kommt noch etwas hinzu: Das Wenige, was es auf den 128 Seiten an Handlung gibt, lehnt sich immer wieder an das an, was bereits im Debüt gestanden hat: Einmal mehr flieht eine junge Frau aus einer unerträglichen Lebenssituation, einmal mehr sucht sie Unterschlupf in einer fremden Wohnung. Diesmal will sie zwar nicht dem Muttersein, sondern der eigenen Schreibkrise entkommen. Aber hier wie dort wird der Aufenthalt überstürzt beendet. Es folgen: Depression, Alkohol, abgebrochener Selbstmordversuch.

Es ist wohl mehr als Zufall, dass sich der erste und der zweite Roman strukturell so sehr gleichen, dass beim zweiten nun aber vor allem das Motiv einer Krise in den Vordergrund rückt, die vielleicht fast automatisch jemanden befallen muss, der nach dem ersten Erfolg wieder genau dort gelandet ist, worüber man sich einst so mühselig hinweggearbeitet hatte: vor dem weißen Blatt. So bleibt der Eindruck, dass fünf Jahre nach dem Debüt vielleicht die Zeit, nicht aber der Text reif gewesen ist für ein zweites Buch. Das nächste Buch ist immer das schwerste, könnte man in Abwandlung einer alten Fußballregel sagen. Aber der Fußball- und Literaturexperte weiß auch: Der Ball ist rund. Beim nächsten Mal läuft’s wieder besser. Vielleicht wird ja bald ein Stipendium für das dritte Buch ausgeschrieben. Von Heike Geißler würde man noch eins lesen wollen, um zu erfahren, was wirklich in ihr steckt. WIEBKE POROMBKA

Heike Geißler: „Nichts, was tragisch wäre“. DVA, München 2007, 128 Seiten, 16 Euro