Ex-Kiffer und Nationalspieler

Ganz auf der Straße ist er nie gelandet. Trotzdem kickt Oliver Gutwillinger für die Deutsche Nationalmannschaft der Wohnungslosen. Vier gegen vier auf kleinem Feld, eine Halbzeit dauert sieben Minuten – gespielt wird nach Streetsoccer-Regeln. „Der Sport bringt mich weg von negativen Gedanken“, sagt der Fußballer.

In dem Café in Hamburg-Altona, in dem er gerade sitzt, würde wohl keiner der Gäste vermuten, dass der gepflegt wirkende 30-Jährige seit Langem keine Wohnung besitzt. Dass er in einer betreuten Wohngemeinschaft unterkam, sein Leben aus den Fugen geriet.

Er selbst spricht darüber ganz offen und reflektiert. Erzählt, dass er sich mit 16 für die Hip-Hop-Szene begeisterte, dass kein Platz mehr war fürs Fußballspielen, sondern nur noch fürs Kiffen. Dabei hatte der gebürtige Berliner als Jugendlicher sogar in der Landesauswahl gespielt. „Ich habe die falschen Leute kennengelernt und wollte dazugehören“, sagt Gutwillinger. Mit 20 machte er seine erste Therapie, blieb eine Weile clean, wurde rückfällig. Später kam die Spielsucht dazu. „Die Hoffnung auf dicke Gewinne treibt einen immer wieder in die Spielhalle.“

Irgendwie hielt sich der damals Ungelernte finanziell über Wasser, trug Zeitungen aus oder putzte öffentliche Toiletten. Zwei Ausbildungen brach er ab. Die dritte zog er durch und wurde Koch. „Aber die Gastronomie ist verseucht“, sagt Gutwillinger – Alkohol und Drogen gehörten zum Alltag in den Küchen. Wieder musste er zum Entzug.

Das war der Wendepunkt. „Angst, dass es nochmal passiert, habe ich keine“, sagt der Wahl-Hamburger. Heute lebt er in einer Einrichtung zur „Sozialen Orientierung“ des Trägers Jugend hilft Jugend. Mit der hauseigenen Fußball-Mannschaft wurde er Deutscher Straßenfußballmeister. „Ich will in Bewegung bleiben.“

Die Berufung in die Nationalmannschaft gibt ihm Auftrieb. Am Donnerstag flogen er und seine Teamkollegen zum 12. Homeless Worldcup nach Chile, gestern war Anstoß. Die Spieler aus 64 Nationen dürfen nur einmal in ihrem Leben dabei sein. Alle haben Sucht, Gewalt, Wohnungslosigkeit oder Armut erfahren. Der Verein Anstoß finanziert die Reise für das deutsche Team durch Spenden. „Das ist eine gute Möglichkeit, um auf Wohnungslosigkeit hinzuweisen“, sagt Sprecher Stefan Huhn. „Die Jungs sind in einer positiven Rolle. Es geht ums Kicken.“

Gutwillinger macht sich trotzdem keine Illusionen: „Die WM löst nicht meine Probleme, aber es wird ein Erlebnis und das motiviert mich“ – auch für die Zeit danach. Dann will er eine letzte Therapie beginnen und Fitnesstrainer werden. „Ich schreie nach Normalität.“  REA