Rendezvous im Stadion

Von den glanzvollen Tagen bei Preußen Münster über Shakespeare im Wald zur Siemensstraße: Das „Blind Date“ mit dem Wolfgang-Borchert-Theater ist ein unterhaltsamer Ritt durch die Stadt

VON HEIKO OSTENDORF

Alle Beteiligten haben schon mal bessere Zeiten gesehen. Werner Hansch steht – für einen Sportmoderator ganz ungewohnt – mitten auf dem Spielfeld des arg vernachlässigten Stadions des Fußballvereins Preußen Münster. Der Traditionsverein hat sich mittlerweile zum Verdruss der Stadt und seiner Bürger in der vierten Liga festgesetzt. Ohne Hoffnung auf Aufstieg. Früher, ja, früher war alles schöner. Am 4. November 1978 zum Beispiel. Da spielte Preußen noch in der zweiten Liga. Am Kommentatormikrofon für den WDR machte Werner Hansch seine ersten Radioschritte. Wie das damals geklungen haben könnte, demonstriert der Meister der Fußballsprache auf einer der Stationen des Theater-Projekts „Blind Date“, mit dem das Wolfgang-Borchert-Theater (WBT) zu einer Busfahrt durch Münster einlädt.

Die echten Fußballfans unter den Theaterbesuchern dürften die an alte Zeiten erinnernden Sätze des Radio-Urgesteins zu Tränen rühren, sind sie doch so viel unterhaltsamer als die Kommentare der Generation Beckmann-Kerner-Réthy. Hansch lässt prompt die obligatorischen Sprüche und Redewendungen los: So sind beim Spiel Münster gegen Bayer Leverkusen beide Mannschaften natürlich „in Bestbesetzung“ angetreten. Und wenn Hansch von „plattgebügelt“ spricht, meint er damit natürlich ein Foul, denn „das ist kein Streichelzoo“. Doch ist das der echte Hansch?

Die 26 Zuschauer – mehr Plätze hat der Oldtimer-Bus aus dem Jahr 1954 nicht zu bieten – sitzen auf der Tribüne und können nur den Versprechen des Projekt-Moderators trauen. Jörg Thadeusz hat die Rolle des Reiseführers übernommen. Der Fernsehmoderator, der im WDR den „poetry slam“ moderiert und im RBB seine eigene Talk-Sendung hat, hatte angekündigt, Hansch könne zur Verifizierung angefasst werden. Eine krasse Lüge. Denn wie im Fußball üblich erhebt sich zwischen Zuschauer und Spielfeld ein beachtlicher Zaun und verhindert die gefühlte Kontaktaufnahme.

Körperliche Ertüchtigung hatte Thadeusz vor der Abfahrt am WBT angekündigt und blieb immerhin damit bei der Wahrheit. Denn auf Fahrrädern geht es am Fluss Werse entlang quer durch den Wald. Hier im Busch gibt es Gedichte und ein Klassiker-Potpourri. Schauspieler verstecken sich und rezitieren neben eben Wilhelm Busch auch Shakespeare, Schiller und Goethe.

Wer Münster kennt, ist wenig überrascht von den Stationen der „Blind Date“-Tour. Dass die Siemensstraße der Münsteraner Strich ist, falls sich dort überhaupt noch Prostituierte finden, ist bekannt. Dass die Aussicht auf die Hafenindustrie alles andere als erholsam ist – geschenkt. Doch Thadeusz ist ein Entertainer der sympathischen Art. Er nervt nicht mit ununterbrochener Witzigkeit, sondern spickt die Fahrt durch die westfälische Metropole mit erfundenen Anekdoten und spöttischen Kommentaren, die den Provinzialismus der Stadt gerne auf die Schippe nehmen.

WBT-Intendant Meinhard Zanger will mit seinem „Blind Date“-Konzept auf den skulptur-projekte-Zug aufspringen. Die alle zehn Jahre stattfindende Münsteraner Kulturschau wird ab Mitte Juni wieder Kunst in den öffentlichen Raum bringen. Installationen, Events und klassische Plastiken werden dann das Stadtbild erweitern oder verschandeln – je nach Sichtweise. Warum sollte sich das Theater als Kunstform dabei zurückhalten?, muss sich der Regisseur gefragt haben.

Termine: 27.5., 1./2.6., 8./9.6., 16.6.