EINE GERINGERE BELASTUNG FÜR KAPITAL ALS FÜR ARBEIT IST UNGERECHT
: Lückenhaftes Steuersystem

Fragwürdig sei sie, die geplante Steuersenkung. Das hat Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) gestern, hinter viel Selbstlob versteckt, an einer Stelle durchblicken lassen. „Verteilungspolitisch richtige Einwände“ gebe es gegen die Verringerung der Kapitalbesteuerung von heute maximal 42 Prozent auf künftig 25 Prozent. Die meist wohlhabenden Besitzer von Aktiendepots und anderen Geldanlagen würden damit auf ihren Gewinn weniger Abgaben an den Staat zahlen als mancher Beschäftigter auf seinen Lohn. Das ist kein gutes Signal an eine Gesellschaft, die durch das Auseinanderdriften von Arm und Reich ohnehin beunruhigt ist.

Nun wäre es falsch, anzunehmen, Steinbrück fände seine Reform nicht gut. In seinen Augen ist sie notwendig. Zum guten Teil hat er recht. Selbst die Wohlfahrtsstaaten Skandinaviens erheben auf den Gewinn von Konzernen augenblicklich weniger Steuern als Deutschland. Und auch die nominale Spitzenbelastung bei privaten Kapitalerträgen fällt dort geringer aus. Mit den eigenen Steuersätzen nicht am oberen Rand, sondern im Mittelfeld zu liegen muss angesichts der Standortkonkurrenz für Deutschland nicht falsch sein.

Trotzdem, das weiß auch Steinbrück, gibt es Indizien für Gerechtigkeitsdefizite im deutschen Steuersystem, die nicht vornehmlich mit der Globalisierung zu tun haben. Dass nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung jährlich 100 Milliarden Euro aus deutschen Gewinnen und Kapitalerträgen unversteuert ins Ausland fließen, liegt auch am lückenhaften Steuerrecht. Eine Vermögensteuer für Reiche wird hierzulande nicht mehr erhoben. Die Spitzensätze der Einkommensteuer, besonders die tatsächlich gezahlten, sind milde. Und auch bei der Erbschaftsteuer gibt es durchaus Spielraum nach oben.

Das deutsche Steuersystem ist nicht abgrundtief ungerecht, aber es beinhaltet soziale Schieflagen. Diese beruhen auf der politischen Entscheidung, manche Missstände lieber nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen. Das ist kein Pluspunkt für die SPD, die von ihren Wählern traditionell mit dem Ideal der Gerechtigkeit identifiziert wird. HANNES KOCH