„Die Heuchelei ist das Schlimmste“

Exprofi Rolf Gölz über den Betrug in der Radsportszene: „Epo hat Doping zum Massenphänomen gemacht“

ROLF GÖLZ, 43, war in den 80ern und zu Beginn der 90er-Jahre der erfolgreichste deutsche Radprofi. Der Schwabe aus Bad Schussenried konnte insgesamt sieben klassische Eintagesrennen gewinnen. Von 1999 bis 2003 war er Sportlicher Leiter beim Team Gerolsteiner, später auch Co-Moderator für das ZDF.

taz: Herr Gölz, haben Sie Montagabend Fernsehen geschaut?

Rolf Gölz: Ja.

Bert Dietz berichtete über systematisches Doping im Team Telekom. Hat Sie das überrascht?

Nein.

Warum nicht?

Weil mir das immer klar war. Bert Dietz hat genau die Mechanismen beschrieben, die seit Jahrzehnten im Radsport vorherrschen.

Die Mechanismen sind Ihnen auch selbst bekannt?

Ja.

Zum ersten Mal offenbart sich ein deutscher Exprofi. Bert Dietz hat seine Karriere längst beendet, er bewegt sich nicht mehr im Radsportsystem, er hat auch nicht die großen Erfolge vorzuweisen. Hat ihm das die Beichte leichter gemacht?

Es war natürlich einfacher für ihn, weil er keine Funktion mehr ausübt im Radsport. Wenn er noch im System drinnen wär, dann würde es bedeuten, dass er den Job verliert – und auch sein Gesicht. Er würde weder als Sportlicher Leiter noch als Mechaniker noch als Autofahrer eine Anstellung finden.

Warum hat es so lange gedauert, bis ein deutscher Szenekenner spricht?

Weil derjenige nicht nur in der Radsportszene eine Unperson ist, sondern auch in den Medien.

Dietz hat den Schritt gewagt, weil er, wie er in der ARD sagte, die Heuchelei im Radsport nicht mehr ertragen könne.

Ich kann ihn sehr gut verstehen. Es ist ja im Radsport üblich, auf den Dopingsünder mit dem Finger zu zeigen, auf ihn einzuhauen. Man selbst sagt aber: Ich habe nichts getan, ich bin sauber.

Diese Heuchelei geht Ihnen auch gegen den Strich?

Und wie. Sie ist das Allerschlimmste. Nach dem Festina-Skandal war doch klar, dass nicht nur in diesem Team mit dem Wundermittel Epo gedopt wird. Doch damals hat das sehr erfolgreiche Team Telekom gesagt: Wir sind auf jeden Fall sauber. Im Prinzip hat jeder in der Szene gedacht: Was erzählen die denn? Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Das Glashaus liegt mittlerweile in Scherben.

Ja. Aber vielleicht ist jetzt die Chanche für Betroffene, offener mit dem Thema Doping umzugehen.

Ist das nicht eine naive Forderung?

Das ist naiv. Ich sage Ihnen auch, warum: Bei Epo bestand ja damals null Risiko. Und wenn es null Risiko gibt, und man weiß um die Leistungssteigerung des Mittels, dann wird es immer Sportler, Physiotherapeuten, Sportliche Leiter oder sonst wen geben, der das ausnutzt. Damals haben es sicherlich 80 Prozent der Radfahrer gemacht. Jeder, der nicht mit Epo arbeitete, hatte einen klaren Nachteil – und am Ende des Jahres keinen Job mehr. Wenn ich weiß, dass es 80 Prozent machen, dann habe ich irgendwann auch kein Unrechtsbewusstsein mehr. Die Denke war: Ich habe mir keinen Vorteil verschafft, sondern nur die Nachteile wettgemacht.

In der Szene gilt auch: Nur wer positiv getestet wird, hat auch gedopt. Richtig?

Ja, nur wer so dumm ist und sich erwischen lässt.

Sie sind selbst Teil der Radsportszene gewesen, erst als Profi, später als Sportlicher Leiter eines Rennstalls. Wollen Sie sich Bert Dietz’ Aufruf zur Offenheit anschließen?

Hm, ich bin halt Realist. Es wird nie passieren, dass sich, wie er es sich gewünscht hat, alle offenbaren.

Was hätten Sie selbst zu einer Aufklärung der Öffentlichkeit beizutragen?

Gott sei Dank ist die Epo-Ära an mir vorbeigegangen, weil ich 1992 aufgehört habe.

Nun ist Epo nicht das einzige Mittel, mit dem man schneller Fahrrad fahren kann.

Aber mit Epo ist Doping deutlich breiter geworden. Natürlich hat es auch zu meiner Zeit Missbrauch gegeben. Das hat man auch mitbekommen, ganz klar.

Wie sauber sind Sie gefahren?

Ziemlich sauber.

Aber nicht völlig?

Es kommt immer darauf an, wie Sie die Sache sehen.

Es gibt klare Regeln, was Doping ist und was nicht.

Schon.

Aber?

Ich sage mal so: Man konnte sich damals auch gegen Doping entscheiden.

Und das ging spätestens in der Epo-Phase nicht mehr?

Definitiv nicht. Epo hat Doping zu einem Massenphänomen gemacht. Es gab nicht mehr die Möglichkeit, dem zu entrinnen. Wer vorn mitfahren wollte, musste mitmachen. Auch Telekom.

Ihr Sohn betreibt Radsport. Würden Sie ihn Profi werden lassen?

Nein.

INTERVIEW: MARKUS VÖLKER