Ich habe alles ernst gemeint

Ausstellungen, Retrospektiven, außerdem ist „Berlin Alexanderplatz“ neu erschienen: 25 Jahre nach seinem Tod ist Fassbinder präsenter denn je. Ein Gespräch mit der Schauspielerin Irm Hermann über ihre Zeit vor, mit und nach Rainer Werner Fassbinder

VON ANDREAS RESCH

Wie keine andere Schauspielerin verkörperte sie in den Siebzigerjahren so etwas wie die dunkle Seite des deutschen Spießbürgertums. Aus Irm Hermanns Mund konnten selbst Sätze wie „Wir haben noch Ente mit Rotkohl“ etwas zutiefst Bedrohliches annehmen. Ein einziger strafender Blick aus ihren zusammengekniffenen Augen genügte, um Menschen in die Verzweiflung zu treiben.

Die herzliche Begrüßung an der Schwelle zu ihrer Zehlendorfer Wohnung beweist allerdings, dass die reale Irm Hermann mit Figuren wie der Lore in Fassbinders „Angst vor der Angst“ nur wenig gemein hat. Nachdem sie Kaffee und Kuchen serviert hat, beginnt Irm Hermann mit einem Münchner Akzent, den ihr auch drei Jahrzehnte Berlin nicht haben austreiben können, von ihrer Jugend zu erzählen. „Sehr früh in die Welt hineingestoßen worden“ sei sie, mit fünf in die Schule, mit dreizehn in die Kaufmannslehre, anschließend in eine Sekretärinnenausbildung. „Wie Knast war das.“ Um den Büroalltag ertragen zu können, flüchtete sich Irm Hermann in Tagträume, stellte sich vor, sie sei Sophia Loren oder Gina Lollobrigida, deren Filme sie sich am Wochenende im Kino anschaute. „Das war meine Rettung.“

1966 dann die Begegnung der damals Dreiundzwanzigjährigen mit dem zwei Jahre jüngeren Rainer Werner Fassbinder. „Rainer war noch ein Junge. Er war picklig, dick und unansehnlich. Aber ich habe nur seine Augen gesehen“, erinnert sich Irm Hermann. „Du gehst da nicht mehr hin“, hat Fassbinder eines Tages zu ihr gesagt, um anschließend in ihr Büro zu marschieren und den verdutzten Kollegen mitzuteilen: „Die Frau Hermann kommt nicht mehr.“ Sie muss lachen. Es scheint, als sei sie auch heute noch überrascht ob der Vehemenz, mit der sie damals mit ihrer kleinbürgerlichen Existenz gebrochen hat.

Die Anfangszeit mit Fassbinder sei die schönste gewesen. Da gab es noch keine Gruppe, nur sie beide – ein ganz normales Liebespaar eben. „Wir sind ins Kino gegangen, haben Flipper gespielt und waren im Englischen Garten spazieren. Es war eine Zeit, in der wir Tag und Nacht zusammen waren.“ Doch schon bald bildete sich um Fassbinder herum die Truppe des „antiteater“, zu der auch Hanna Schygulla, Kurt Raab und Ingrid Caven gehörten, mit der Irm Hermann bis heute eine innige gegenseitige Abneigung verbindet. Es begann eine Phase der Eifersüchteleien, „die Rainer gezielt geschürt hat“ – wohl auch, um das kreative Potenzial der Truppe besser nutzen zu können. Oft überschritt er dabei die Grenze zum Sadismus.

Ende der Sechziger verlagert Fassbinder seine schöpferischen Energien aufs Filmemachen. Der Durchbruch gelingt 1969 mit „Katzelmacher“. Schon hier spielt Irm Hermann eine dieser unterkühlten Frauen, die sie später als „Schmalspurrollen“ bezeichnet. Es wird gearbeitet, als gäbe es kein Morgen: Während eines Drehs werden schon die nächsten Projekte geplant. Innerhalb von nur zehn Tagen entsteht 1971 „Händler der vier Jahreszeiten“ – mit Irm Hermann in der Hauptrolle. So fruchtbar diese Zeit für Irm Hermann in künstlerischer Hinsicht gewesen ist, so aufreibend war sie offenbar auf der zwischenmenschlichen Ebene: „Ich war Rainer nicht gewachsen. Die anderen haben immer gedacht, ich würde irgendwelche Spielchen spielen. Dabei meinte ich das alles vollkommen ernst.“ Vergeblich hat sie gegen das Rollenschema aufbegehrt, das ihr aufgedrängt wurde.

Auch wenn sie noch in mehreren seiner Filme auftritt, allerdings meist in kleineren Rollen, beginnt sich Irm Hermann Mitte der Siebziger von Fassbinder zu lösen. Sie dreht mit anderen Regisseuren, möchte endlich herausfinden, was es bedeutet, eine eigenständige Schauspielerin zu sein. „Vor und hinter der Kamera war Rainer ja der absolute Alleinherrscher. Ich habe nur funktioniert.“ Er habe ihr Unbewusstes gezielt verstärkt und ausgestellt, „fast schon hörig“ sei sie ihm gewesen. Jahrzehnte hat es gedauert, bis sie sich von der Überfigur Fassbinder befreien konnte und zu einer selbstreflektierten Darstellerin geworden ist.

Zwei Mal noch arbeitet Irm Hermann vor Fassbinders Tod mit ihm zusammen. 1979 hat sie einen Auftritt in einer Folge von „Berlin Alexanderplatz“, ein Jahr später in „Lili Marleen“. Sie wird zur gefragten Film- und Theaterschauspielerin, dreht mit Regisseuren wie Werner Herzog, Loriot und Christoph Schlingensief, spielt an der Freien Volksbühne in Berlin. Trotz der vielen Querelen verbindet Irm Hermann mit der damaligen Zeit überwiegend Positives: „Diese Anerkennung, die mir im Moment zuteil wird, macht mich Rainer gegenüber sehr dankbar.“ Oft wird sie auf der Straße auf ihre Fassbinder-Rollen angesprochen. Zudem häufen sich in letzter Zeit die Einladungen, etwa zur „Fassbinder: Berlin Alexanderplatz“-Ausstellung, die heute in den Kunst-Werken eröffnet wird.

In letzter Zeit hat Irm Hermann viel gedreht. Vorletztes Jahr ist sie mit Schlingensief in Namibia gewesen. Ein Drehbuch gab es nicht. „Wir sind durch die Gegend gefahren, irgendwo ausgestiegen und haben einfach angefangen zu filmen.“ Windig sei es gewesen, regelrecht unwirtlich – und gleichzeitig wunderschön. Aufgrund solcher Filmprojekte sowie diverser Theaterengagements in München, Wien und Zürich ist Irm Hermanns Wohnung nach zweieinhalb Jahren noch immer nicht endgültig eingerichtet. Auch in der näheren Zukunft wird sie wohl wenig Zeit dafür finden, im Sommer dreht sie schon wieder einen Film. Als ich nach knapp zwei Stunden gehe, ist eines gewiss: Für Irm Hermann gibt es ein Leben nach Fassbinder.

Die Kunst-Werke eröffnen heute um 17 Uhr eine Ausstellung zu „Fassbinder: Berlin Alexanderplatz“. Die DVD-Edition der TV-Serie ist gerade erschienen