EINE FANTASIE AUF DEM GELÄNDE DES ANHALTER BAHNHOFS
: Die Trümmer sind so schön

VON DIRK KNIPPHALS

WESTWÄRTS, HO!

Gebt mir zwei Millionen Euro. Oder am besten gleich fünf. Gebt mir einen begnadeten Kameramann und die besten Computerkünstler, die ihr habt. Gebt mir Matt Damon. Gebt mir 3-D. Denn es gibt da diese Idee zu einer Eröffnungssequenz für einen Kinofilm. Und es wäre schön, wenn sie verwirklicht werden könnte. Wie der Film dann weitergeht, ist zwar nicht ganz klar. Aber das findet sich. Und die Eröffnungssequenz ist wirklich gut.

Sie beginnt in der Stresemannstraße, Ecke Schöneberger Straße. Ein Mann steht vor den Ruinen, die vom Anhalter Bahnhof übrig blieben. Musik setzt ein. Schrift wird eingeblendet: „nichts als Trümmer sind geblieben – & diese Trümmer – sie sind so schön. (John Ruskin)“. Dann wieder der Mann. Und erst allmählich, dann immer deutlicher beginnt sich das Bild zu ändern. Langsam schälen sich die Umrisse des Anhalter Bahnhofs heraus, wie er einmal ausgesehen hat. Eine riesige Halle, 34 Meter hoch, 170 Meter lang, die „Mutterhöhle der Eisenbahnen“ (Walter Benjamin), groß wie der heutige Hauptbahnhof.

Pferdekutschen kommen ins Bild und Straßenbahnen. Franz Kafka geht vorbei, so wie er im Juli 1914 hier tatsächlich aus dem Anhalter Bahnhof gegegangen ist, gehetzt wahrscheinlich, von Prag kommend, auf dem Weg ins Hotel „Askanischer Hof“ vis-à-vis, wo der berühmte „Gerichtshof imHotel“ stattfinden wird, die Entlobung mit Felice Bauer, Initialzündung für den Roman „Der Proceß“. Dann ein Schwenk. Panorama. Großstadtverkehr. Der große, graue Ziegel der 17-stöckigen Wohnmaschine, die heute auf der anderen Straßenseite steht, verschwindet und an ihrer Stelle entsteht des „Haus Excelsior“, damals eins der berühmtesten Hotels des Kaiserreichs, nicht das beste (das war das Adlon), aber das größte.

Künstler stiegen hier ab und Provinzbosse, die in der Metropole Geschäfte machen wollten sowie sich amüsieren. In der Umgebung hatte es Vergnügungslokale gegeben, Geschäfte, Cafés. Auf eines dieser Cafés geht der Mann dann zu. Die ganze Eröffnungssequenz, das ist jetzt klar, ist ein Schritt zurück durch die Zeit. Berlin war eine Boomtown gewesen, und der Anhalter Bahnhof war der größte Bahnhof Berlins gewesen. Das alles ist zwar heute an dieser Stelle noch nicht einmal mehr zu erahnen. Aber aus dem Portikus des Bahnhofs, der immer noch steht, kann man es tricktechnisch erwachsen lassen.

Welche Geschichte folgt? Keine Ahnung (vielleicht die Verfilmung eines Berlinkrimis von Volker Kutscher). Diese Eröffnungssequenz steht in meiner Fantasie so unverbunden, wie die Ruinen des Anhalter Bahnhofs heute in dieser zusammengewürfelten Gegend aus Durchgangsstraßen und Bolzplätzen, älteren Neubauten, ganz neuen Bürogebäuden und Tempodrom stehen. John Ruskin pilgerte übrigens im 19. Jahrhundert durch Italien auf der Suche nach den Schönheiten der Antike und der Renaissance. Trümmer waren alles, was er fand – aber das war damals schon für ihn ganz großes Kino.