„Es geht um die Furcht der Eliten“

NEUE RECHTE Thilo Sarrazins Thesen sind nicht neu. Bloß die Objekte sind es. Volker Weiß zufolge steht das Bedürfnis nach Elite in direkter Tradition der republikfeindlichen Theoretiker der Weimarer Zeit

■ Der Autor: Der Historiker lebt in Hamburg.

■ Das Buch: „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin“. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2011, 141 Seiten, 16,90 Euro

taz: Herr Weiß, die Thesen Thilo Sarrazins sehen Sie als charakteristisch für eine Debatte, die seit fast 150 Jahren immer wieder auftaucht. Worum geht es da?

Volker Weiß: Es geht um die immer wiederkehrende Furcht der Eliten vor dem nationalen und kulturellen Verfall, meist gepaart mit dem Hinweis, dass „gefährliche“ Bevölkerungsteile überhandnehmen. Dieser Diskurs ist seit Beginn der Moderne als Reaktion auf die Verstädterung und den politischen Aufbruch der Massen zu beobachten. Er verstärkte sich, je mehr die traditionellen Eliten unter Druck gerieten. Ich habe mich im Rahmen meiner Forschung mit der Krisenpublizistik vor allem der zwanziger Jahre befasst und hatte bei der Lektüre Sarrazins ein Déjà-vu. Augenscheinlich hat sich diese Furcht bis ins postbürgerliche Zeitalter gehalten.

Welches sind die allgemeinen Motive, die sich über die Jahre wiederholen?

Letztlich die Beschwörung von Dekadenz und die drohende Apokalypse der Massengesellschaft, diese Untergangsmotive hatten bereits zwischen den Weltkriegen Konjunktur. Das zeigt schon ein Blick auf die Titel: Oswald Spenglers „Untergang des Abendlands“, Edgar Jungs „Die Herrschaft der Minderwertigen“, Ortega y Gassets „Aufstand der Massen“. In dieser Tradition lese ich auch Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“.

Dieser Diskurs geht seit je mit klaren politischen Forderungen einher. Inwiefern haben sich diese verändert?

Zunächst haben sich die Objekte verändert. Anfangs wurde die Arbeiterschaft in den Städten als Agentin des Niedergangs denunziert, meist in Kombination mit Juden, Polen und den mangelnden Geburten bei den Gebildeten. Letzteres packt auch Sarrazin wieder aus, aber an die Stelle der Polen und Juden sind bei ihm Türken und Araber getreten. Auch das organisierte Proletariat gilt heute nicht mehr als Bedrohung. Jetzt ist die Unterscheidung in Leistungsträger und Leistungsempfänger üblich. Hier findet dann der Brückenschlag zu anderen Theoretikern wie etwa Peter Sloterdijk statt. Aber der antiegalitäre Unterton bleibt.

Welche Rolle spielt die Selbstinszenierung bei den von Ihnen untersuchten Autoren? Gehört ein bisschen Show nicht immer zur Vermarktung?

Sicher muss, wer gehört werden will, die Trommel schlagen, aber die Inszenierung Sarrazins und seiner Fans als regelrecht politisch Verfolgte war maßlos. Das zeigt sich vor allem, wenn man die Multiplikatoren und Auflagenzahlen ansieht. Aus Bild, Spiegel und DVA wurden in dieser Schmierenkomödie Organe des Samisdat. Es wurde mit Begriffen wie „Zensur“ und „Inquisition“ hantiert. Ohnehin ist die Political Correctness ein interessantes Phänomen: Während Linke zu ihrer Verteidigung konservativ-moralisierende Denkmuster entwickeln, kämpfen ihre rechten Gegner, die selbsternannten Verteidiger von Sitte und Anstand, dafür, „Neger“, „Schwuchtel“ und „Zigeuner“ sagen zu dürfen. Ich frage mich manchmal, was Sarrazin und Sloterdijk eigentlich von den Bushido-Typen unterscheidet, gegen die sie zu Felde ziehen. Ihr Sozialdarwinismus ist jedenfalls straßentauglich.

Sie werfen Sarrazin & Co vor, traditionell rechte Thesen in die Mitte der Gesellschaft getragen zu haben. Hätten sie besser nicht schreiben sollen?

Ich verbiete niemandem das Schreiben. Allerdings muss, wer austeilt wie Sarrazin, sich auch der Kritik stellen. Und da hat er versagt und sich in die Rolle des Verfolgten geflüchtet. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Sozialdemokrat vor allem mit seinen Spekulationen über die genetischen Anlagen von Leistungsfähigkeit eine Argumentation salonfähig gemacht, die sonst fast ausschließlich seitens der äußersten Rechten vorgetragen wird. Der Humangenetiker Volkmar Weiss beispielsweise, auf den er sich stützt, ist sonst im Umfeld der NPD en vogue, was Sarrazin auch entsprechende Avancen dieser Partei einbrachte. Auch die Kampagne gegen PC wurde in den neunziger Jahren noch von der stramm nationalistischen Zeitung Junge Freiheit betrieben.

INTERVIEW: MICHAEL RÖSENER