In Slowenien soll das Gras grüner sein

Mit 20 ist Anica Kraner nach Berlin gekommen, mit 60 wird sie es wieder verlassen. Sie ist eine der vielen Slowenen, die aus dem einst gelobten Land zurückgehen in ihre jetzt gelobte Heimat. Ihre Identität als Pendler werden sie aber auch dort nicht los

Dass aus dem Abenteuer 40 Jahre in Berlin wurden – damit hat keiner gerechnet

VON IZTOK ŠORI

Normalerweise ist die Bilanz andersherum: Aus den neuen EU-Ländern kommen mehr Bürger nach Berlin, als von Berlin dorthin ziehen. Nicht so die Slowenen. Viele von ihnen kehren in die alte Heimat zurück – in vergangenen zehn Jahren jedenfalls mehr, als von Ljubljana, Maribor oder Koper nach Berlin kommen. Immerhin gilt das Land, das neben Polen, Ungarn und sieben weiteren osteuropäischen Staaten am 1. Mai 2004 der Europäischen Union beitrat, als „Musterschüler der EU“.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum man von den Berliner Slowenen so wenig hört. Musterschüler neigen nicht dazu, aufzufallen. „Das sind brave, fleißige und faire Menschen, die überall beliebt und von allen Einwanderern am besten integriert sind“, sagt Anica Kraner. Sie ist Vorsitzende des Vereins Slovenija und eine von den rund 1.200 Slowenen, die in Berlin leben. Wenn sie nächstes Jahr in Rente geht, will auch sie zurück vom alten gelobten Land ins neue.

Wie viele andere Slowenen ist Anica Kraner Ende der 60er-Jahre nach Berlin gekommen. Allerdings hat sie Deutschland am Anfang überhaupt nicht als gelobt empfunden. Ihr erster Besuch in Westberlin fand zu jener Zeit statt, als die Rote Armee den Prager Frühling niedergeschlagen hatte. Sie kam mit der Bahn durch die DDR und sah in jedem Waggon zwei bewaffnete Soldaten. Anica Kraner war erschrocken: „Im Vergleich zur DDR haben wir in Jugoslawien eher frei gelebt, wir konnten auch überallhin reisen.“ Damals, erinnert sie sich, habe sie sich geschworen, nicht in dieser eingeschlossenen Stadt leben zu wollen.

Doch für die Liebe tut man einiges, und so ist sie im Oktober 1968 erneut nach Berlin geflogen. Diesmal für 40 Jahre. Kurze Besuche in Slowenien eingeschlossen, versteht sich. Was Anica Kraner in ihren ersten Jahren erlebte, ist der Einwanderungs-Blues jener Zeit. „Es war einfach grauenhaft“, sagt sie und meint das Wohnheim, in dem sie sich im ersten Jahr ein Zimmer mit drei Frauen teilen musste. „Ich muss auch zugeben, dass ich gegenüber den Deutschen Vorurteile hatte.“ Bilder über die Deutschen im Zweiten Weltkrieg saßen fest in ihrem Kopf. Und dann auch noch dieser Anblick ihres Wohnheims: „Die Baracke war umzäunt!“ Anica Kraner erinnert sich nicht gerne an diese Zeit, in der Frauen keine Männerbesuche empfangen durften und abends um 22 Uhr auf ihren Zimmern sein mussten.

Doch auch die erste Wohnung, die man ihr anbot, war eine Enttäuschung – ohne Strom, ohne Wasser, ohne Toilette. „In Slowenien lebte ich auf dem Land, doch wir hatten sowohl ein Bad wie Zentralheizung“, sagt sie noch immer empört. Der Einzug in eine Neubauwohnung war dann ein echter Fortschritt für Kraner, die inzwischen geheiratet und eine Familie gegründet hatte.

Was sich bis heute nicht geändert hat im Leben von Anica Kraner, ist der Arbeitgeber – die Firma Siemens. Obwohl sie damals, als sie eine Fabrik erstmals von innen sah, in Tränen ausgebrochen war und für das Ausfüllen des ersten Formulars ein Wörterbuch gebraucht hatte, hat sie sich hochgearbeitet – von der Arbeit als Dreherin am Fließband bis zur Leiterin eines Büros.

Doch warum das alles? Warum ein Dorf mit Wasser und Strom gegen eine Berliner Wohnung ohne alles tauschen? „Eine Wirtschaftsmigrantin“, darauf besteht Anica Kraner bis heute, „war ich nicht. Ich hatte in Slowenien einen Job.“ Doch die Neugier auf das fremde Land war größer. „Viele, die ich kenne, sind gekommen, um zu sehen, was möglich ist. Sie wollten Geld für ein neues Auto verdienen oder was Neues erleben.“ Dass aus dem Abenteuer 40 Jahre Deutschland würden, damit hat keiner gerechnet.

Auch nicht mit der Krise auf dem Balkan. Schon in den Achtzigerjahren, sagt Kraner, konnte man spüren, dass es in Jugoslawien brodelt. Langsam begannen sich Einwanderer nach der nationalen Zugehörigkeit zu organisieren. So entstand als einer der ersten 1982 auch der Verein Slovenija, den Anica Kraner heute leitet.

Auch zwischen den Jugoslawen in Berlin gab es schärfere Töne. Manchmal wurden gar Todesdrohungen ausgesprochen, Anica Kraner hat es selbst erlebt. Doch das, wiegelt sie ab, erlebt man überall. Dennoch hat der erste Jugoslawienkrieg alle überrascht. Aus dem Fernsehen hat Kraner im Juni 1991 erfahren, dass in Slowenien jugoslawische Panzer auf die Straßen rollten. Die Berliner Slowenen haben nicht tatenlos zugesehen: Sie sammelten Unterschriften gegen den Krieg, hielten Pressekonferenzen ab und organisierten eine Demonstration und eine Mahnwache am Pariser Platz. „Genau an dieser Stelle haben wir dann 2004 den Beitritt Sloweniens zur EU gefeiert“, erinnert sich Anica Kraner. Die Begeisterung oder sogar die Verliebtheit dem Geburtsland gegenüber kann sie nicht verstecken.

Ob sie da nicht zu idealistische Vorstellungen über ihr Heimatland hat? „Natürlich habe ich die“, räumt sie ein. „Auch unsere Tochter, die vor fünf Jahren nach Slowenien ging, ist stets damit konfrontiert, dass nichts so schön ist, wie wir es uns im Ausland vorstellen.“ Kraner hat deshalb auch einen Rat an ihre Landsleute parat: „Zieht erst nach Slowenien zurück, wenn ihr ein Haus oder eine eigene Wohnung habt.“ Gewöhnt euch daran, dass die Schlangen an den Ämtern doch länger sind als erwartet.“

Dass ihr der Umzug leichter fallen wird, weil sie in Pension geht und ihre Existenz gesichert ist, ist ihr bewusst. Ihre Tochter, die sich über Nacht entschlossen hatte, ins gelobte Land der Mutter zu ziehen, hatte andere Gründe. Lange hat sie in Berlin nach einem Job gesucht – erfolglos. Als man ihr dann noch freundlich riet, den deutschen Pass anzunehmen, damit es vielleicht besser klappt, ist sie gegangen. Anders als ihre Mutter hat sie das Großstadtleben mit dem Leben in einem Land getauscht, das gerade einmal zwei Millionen Einwohner hat. In Ljubljana studiert sie jetzt Öffentliche Verwaltung und jobbt nebenbei.

Auch Anica Kraner ist sich bewusst, dass sie in Slowenien hin und her gerissen sein wird zwischen beiden Ländern. Zumal ihr Sohn, der mit einer Deutschen verheiratet ist, in Berlin bleibt. „Dann werde ich eben pendeln“, sagt sie dazu. Zu groß ist die Freude, wieder im Heimatdorf zu leben.

Eines aber arbeitet in ihr – ob es richtig war, ihre Kinder auch in Berlin so fest an die slowenische Identität zu binden. „Wäre es für sie sonst nicht einfacher? Sind die Auswanderer in Kanada nicht glücklicher, weil sie wissen, dass sie niemals zurückgehen?“

Anica Kraner weiß es nicht. Schließlich ist sie auch stolz, wenn sie sich daran erinnert, was die Kinder bei einem Besuch in Slowenien gesagt haben: Das Gras sei dort grüner.