LESERINNENBRIEFE
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Neuen Blickwinkel einnehmen

■ betr.: „Umbau statt Schließung“, taz vom 20. 10. 14

Als taz-Abonnentin und ehemalige Mitarbeiterin der Odenwaldschule (1992 bis 2000) verfolge ich die Berichterstattung über die Odenwaldschule in der taz mit großem Interesse. Da Sie wieder das Stichwort „Schließung“ erwähnen, möchte ich meine Zweifel äußern, ob eine Aufarbeitung und Versöhnung (besser) gelingen kann, wenn es keine Menschen mehr gibt, die diesen Prozess mitvollziehen, indem sie die veränderte Schule leben.

Wie beim Altschülertreffen am Wochenende zu erfahren war, hat das derzeitige Kollegium innerhalb kürzester Zeit ein neues Betreuungsmodell für die Internatsschüler entwickelt und sollte nun auch die Gelegenheit haben, dieses in der Praxis zu erproben. Aus eigenen (schmerzhaften) Erfahrungen Kraft schöpfen kann eigentlich nur der, dem es gelingt, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Dazu lädt die sich verändernde Odenwaldschule ein.

PETRA RÜPPEL, Östringen

Erklärung vermisst

■ betr.: „Eine Frage der Attitüde“, taz vom 21. 10. 14

Der Kommentar von Simone Schmollack zur Oberbürgermeisterwahl in Tübingen unter dem Titel ist sehr schwach. Bereits die Behauptung „Boris Palmer präsentiert sich als Heiland“ ist absoluter Blödsinn.

Es bleibt völlig unklar, wie die Autorin zu dieser Einschätzung kommt. Stattdessen verweist sie auf Palmers „Attitüde“ und erklärt, dass er „als Politiker noch viel vor“ habe. Wenig nachvollziehbar ist auch, wie sie in den Raum stellt, Palmer sei „offensiv und laut“. Was an seiner medialen Präsenz auszusetzen ist, ist ebenso unverständlich. Der Kommentar lässt folglich jegliche Erklärung oder Argumentation vermissen. RICHARD HERRMANN, Tübingen

Keine Waffen – kein Krieg

■ betr.: „Mit Gegengewalt erreicht man nichts“, Interview mit Corinna Hausmann, taz vom 18. 10. 14

1. Zivilgesellschaft und Frieden müssen politisch gewollt sein. Das ist bisher nicht der Fall und auch nicht in Sicht, aber notwendig.

2. Frieden machen bedeutet, alle Waffen abschaffen: mit einem strengen, arbeitsplatzverträglichen 30-Jahre-Zeitplan abrüsten, jedes Jahr von Staats wegen 3 Prozent weniger für Rüstung, Militär und Krieg ausgeben: Keine Waffen – kein Krieg!

3. Friedenmachen lernen heißt, destruktive Konkurrenz in fairen Wettbewerb umzufunktionieren, Wettkampf um optimale Technologie, die sozialverträglich und nachhaltig angewandt wird, nachdem sie durch wissenschaftliche Folgenabschätzung evaluiert und in Pilotprojekten erprobt worden ist. Passiert das nicht, kann jeder Computer – Technologie überhaupt – als Waffe benutzt werden, und der Krieg geht weiter.

4. Als Erstes ist ein völkerrechtlicher Konsens erforderlich, mit dem alle Waffenexporte untersagt werden. Das wird den Eliten in den Entwicklungs- und Schwellenländern die gängige Praxis unmöglich machen, Volksvermögen und Entwicklungshilfe für Machtspiele, Krieg und Beutezüge zu verschwenden und sich daran auch noch zu bereichern. Es wird ihrer Herrschaft gegen das Volk die Grundlage entziehen. TOM C. ZAK, Michaelsdorf

Argwöhnischer Leserbriefschreiber

■ betr.: „Kinky sein ist meine Religion“, taz vom 13. 10. 14, „Vor dem Karren der Pornoindustrie“, Leserbrief, taz vom 14. 10. 14

In dem Artikel geht es um einen unkonventionellen pornoaffinen Lebensstil, der sich – nach der Einschätzung der Soziologin Eva Illouz – auf dem Weg der Integration in den Mainstream der pluralistischen Gesellschaft befindet. Der Leserbriefschreiber argwöhnt, dass in der Berichterstattung der taz in diesem Bereich eine als Sachinformation getarnte Schleichwerbung für die Pornoindustrie betrieben wird, und hofft, dass dafür „ein guter Preis gezahlt“ wurde.

Derartig argwöhnische Leserbriefschreiber könnten bei Berichten aus anderen Bereichen, etwa dem Bereich Autodesign, möglicherweise Komplizenschaft mit der Autoindustrie mit Verniedlichung der Kollateralschäden des Individualverkehrs befürchten. Egal ob Befürchtungen dieser Art zutreffen oder nicht, im Falle des pornoaffinen Lebensstilbereichs ist dem Leserbriefschreiber die Diskriminierung eines innerhalb einer Minderheit einvernehmlich praktizierten Lebensstils zu attestieren. Dass es parallele – nicht auf Einvernehmlichkeit basierende, sondern ökonomisch und kommerziell bedingte – Missstände mit Gewaltanwendung gibt, ist selbstverständlich nicht zu rechtfertigen. Vergleichbare Missstände gibt es aber auch in Mainstreammilieus, beispielsweise die in ihren Ausmaßen bisher nicht geahnte pädophile Praxis in der gutbürgerlichen Familie und in pädagogischen Einrichtungen.

Dünkelhafte moralische Verurteilungen minderheitlicher hedonistischer Lebensstile existieren auch in feministischen Gruppierungen; es wird eine künstliche Ängstlichkeit gegenüber von pornografischen Praktiken – auch von einvernehmlichen – kultiviert. Wie kommt es zu derartigem moralischem Fundamentalismus? Die Ursache dürfte in der Vorstellung des Christentums liegen, dass Wollust eine der sieben Todsünden sei. Diese Ideologie befördert eine fantastisch-kuriose Blüten treibende Mentalität eifernder Lustfeindlichkeit. MATHIAS ZOBEL, Berlin