Radikaler Einzelgänger

Für José Rainha Júnior legen seine früheren Kampfgefährten schon lange nicht mehr die Hand ins Feuer. Wohl zu Recht: Am Donnerstag wurde der 50-jährige Dissident der brasilianischen Landlosenbewegung MST wieder einmal verhaftet. Die Bundespolizei wirft ihm vor, umgerechnet 93.000 Euro Gelder für die Agrarreform im „wilden Westen“ des Bundesstaats São Paulo veruntreut zu haben. Acht mutmaßliche Komplizen wurden ebenfalls festgenommen, darunter eine Funktionärin der staatlichen Behörde für Landreform Incra.

Präsidentschaftsminister Gilberto Carvalho sagte, er sei traurig über die Verhaftung, durch die Affäre werde das Verhältnis zwischen der Regierung und den sozialen Bewegungen belastet. Die Vorwürfe scheinen plausibel, korrupte Incra-Beamte sind keine Seltenheit. Mit der brasilianischen Justiz hat der notorische Hitzkopf Rainha schon unzählige Erfahrungen gesammelt. So wurde er 1989 wegen der angeblichen Beteiligung an der Ermordung eines Farmers und eines Polizisten verurteilt, doch das Revisionsverfahren gewann er. Unerlaubter Waffenbesitz, Bandenbildung, Brandstiftung, Diebstahl, Veruntreuungen schon früher – die Liste der Anklagen und Verurteilungen ist lang.

Die brasilianische Justiz ist aber auch dafür bekannt, dass sie bei Landkonflikten mit zweierlei Maß misst: lange U-Haft für radikale Aktivisten wie Rainha oder seine Frau Deolinda, Straflosigkeit für Auftraggeber und Täter der Morde an Kleinbauern, die immer noch an der Tagesordnung sind. Ebenso behindern Richter erfolgreich selbst zaghafte Versuche einer Agrarreform. In den letzten 25 Jahren hat sich nichts an der ungleichen Verteilung von Land geändert, auch nicht unter den linken Staatschefs Lula und Dilma Rousseff. Großfarmer mit Ländereien von mindestens 1.000 Hektar Größe besitzen nach wie vor 43 Prozent des Agrarlands, Kleinbauern insgesamt nur 2,7 Prozent.

In der straff und kollektiv organisierten MST war Einzelgänger Rainha schon 2004 aus Führungspositionen entfernt worden. 2007 schloss man ihn endgültig aus, weil er auf eigene Faust Landbesetzungen organisiert und sich an umstrittenen Agrodieselprojekten beteiligt hatte. GERHARD DILGER