Zukunft in 2 D

Mit dem Dreiteiler „2057 – unser Leben in der Zukunft“ bieten Arte (Samstag, 20.45 Uhr) und ZDF (Sonntag, 19.30 Uhr) visuell wie erzählerisch Doku-Science-Fiction auf internationalem Niveau

Die Hightechzahnbürste überprüft die Dentalpflege, die Toilette nimmt selbstständig Urinproben

VON STEFFEN GRIMBERG

Alain Degas hat es an diesem 10. November 2057 nicht leicht. Es ist der Morgen nach der Feier zu seinem 37. Geburtstag, den angestrebten Traumjob im Krankenhaus hat er gerade an eine Konkurrentin verloren, jetzt löst seine Tochter mit ihrem wunderkerzenverzierten Kuchen auch noch einen virtuellen Feueralarm aus. Außerdem hat Alain bei der Fete am Vorabend getrunken und muss aufpassen, dass seine Krankenkasse das nicht am Pipi merkt – weil sonst die Beiträge zu seiner Platin-Gesundheitsversicherung steigen. Und draußen fliegen die Autos.

Das Setting der ersten Folge des Doku-Dreiteilers „2057 – unser Leben in der Zukunft“ sieht ein bisschen aus wie die alten 60er-Jahre-Ausgaben von „Das neue Universum“, bloß digital animiert. Das selbsternannte Handbuch für Jungen präsentierte damals auch die Städte der Zukunft, wo Bodenkontakt nicht mehr jedermanns Sache war. Doch während vor 100 Jahren durchgängig die schöne neue Welt der Zukunft beschworen wurde, zeigt „2057“ auch die möglichen Schattenseiten des Fortschritts: Intelligentes Haus wie gläserner Mensch sind Wirklichkeit geworden. Das WC wird hier zur Dauer-Urinprobe, und die von der Krankenkasse gesponserte Hightechzahnbürste ist natürlich auch ein perfides Überwachungsinstrument in Sachen Dentalpflege.

Produziert hat die dreiteilige Hightech-Serie der Zukunftssender ZDF, mit dabei sind Arte und, in dieser Größenordnung ein Novum im deutschen TV, der Discovery Channel aus den USA. Entsprechend üppig fällt das Ganze aus: Kinotaugliche Animationen, überall Hologramme – selten war 2-D-Fernsehen so aufregend.

Zu viel Internationalität mag das ZDF seinen ZuschauerInnen aber nicht zumuten: Während in der internationalen Version auf Arte der Physiker Michio Kaku durchs Programm führt, übernimmt in der deutschen Version im ZDF Bestseller-Autor Frank Schätzing die Moderation. Gemeinsam ist beiden, dass sie immer wieder darauf hinweisen, dass es a) auch ganz anders kommen könnte und b) die Risiken und Nebenwirkungen der Zukunft beträchtlich sind.

Das zeigt sich dann auch in der zweiten Folge „Die Stadt“, die 2057 völlig abhängig ist von ihren alles steuernden Datennetzen, die deshalb mit milder Hysterie von der Cyberpolizei geschützt werden. Und die schießt bevorzugt auf die Hacker von morgen. Teil 3, „Die Erde“, widmet sich dann nicht, wie eigentlich erwartbar, der aktuellen Klimadiskussion, sondern dem Thema Energie: Ein Krieg droht um letzte Gas- und Ölreserven auf der Erde, fieberhaft muss Forschern daher die Verschmelzung des Wasserstoffatoms gelingen, um eine neue Energiequelle zu erschließen. Sonst bleibt nur die schon heute beforschte Nutzung von auf dem Meeresgrund gebundenen Methanhydrats. Doch dadurch würde weiter CO2 freigesetzt – aber natürlich bleiben die Wissenschaftler in dieser trotz mahnender Worte insgesamt reichlich technisch-positivistisch geratenen Zukunftsshow optimistisch: „Vielleicht schaffen wir, mit dem CO2 zurechtzukommen“, sagt da ein Forscher des Jahres 2007.

Das ZDF versucht mit „2057“ den großen Wurf zur Primetime, international verwertbar, massenkompatibel bis hin in den allmächtigen US-Fernsehmarkt. Das bedeutet Hochglanz, knappe Argumentationen, Tempo – und nach Meinung der Programmverantwortlichen wohl auch eingängige Dauermusikberieselung. Und falls alles anders kommt, ist der Generalpardon auch schon mit eingebaut: „Wir entscheiden heute über Leben und Tod unseres Planeten“, entlässt Michio Kaku die ZuschauerInnen am Ende der dritten Folge ins schnöde Hier und Jetzt: „Keine Generation vorher hatte jemals so viel Macht.“

Eines beweist diese Science-Doku-Fiction übrigens schon heute: Nicht erst 2057 ist der Unterschied zwischen privatem und öffentlich-rechtlichen Fernsehen endgültig überwunden. Und das Ergebnis muss gar nicht mal so schlecht sein.

Teil 2: „Die Stadt“ (Arte: 24. 3., 20.45 Uhr / ZDF: 25. 3., 19.30 Uhr); Teil 3: „Die Welt“ (Arte 31. 3., 20.45 Uhr / ZDF: 1. 4., 19.30 Uhr)