Gorleben im Jahr 1002014

Derzeit wird die Zukunft des nationalen Atommülls diskutiert – eine Zwischenbilanz

■ Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt und derzeit „ständigen Beobachter“ der umstrittenen Kommission.

INTERVIEW JÖRN ALEXANDER

taz: Herr Stay, Sie sind seit 30 Jahren in der Anti-Atom-Bewegung aktiv und Protagonist des wendländischen Widerstandes gegen ein Atommülllager in Gorleben. Seit Mai gibt es eine Kommission, die Empfehlungen zur Lagerung radioaktiver Abfallstoffe erarbeiten soll und die Sie intensiv und kritisch begleiten. Derweil rosten Atommüllfässer im AKW-Brunsbüttel, das Atommülllager Asse II droht einzustürzen und 152 Castor-Behälter sollen in die USA verschifft werden. Wird es bald eine Lösung für das Atommüllproblem geben?

Jochen Stay: Nein. Ganz im Gegenteil. Wir erleben in den letzten Jahren, dass die ungelösten Probleme mit dem Atommüll immer größer werden. Und trotzdem wird er ja weiter produziert. Deutschland ist in der EU noch immer der zweitgrößte Atomstromproduzent – mit entsprechenden Atommüllmengen. Die Kommission nimmt sich nur einen sehr kleinen Teil des Atommülls vor. Und sie wird in ihrer Zusammensetzung nicht in der Lage sein, den gesellschaftlichen Konflikt über die Atommülllagerung zu beenden.

Im Wendland hat es jahrzehntelang heftige Proteste gegen den Standort Gorleben gegeben. Inzwischen hat auch die Politik eingesehen, dass eine Lösung der Atommüllfrage im gesellschaftlichen Konsens erarbeitet werden muss. Sie glauben nicht, dass die Atommüllendlagerkommission dazu in der Lage ist?

Jochen Stay: Ich erlebe nicht, dass die Politik das eingesehen hat. Ganz im Gegenteil. Alleine die Auswahl der Kommissionsmitglieder spricht Bände. Unter den acht Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in der Kommission sind zwei Eon-Männer, ein RWE-Mann, der ehemalige sächsische CDU-Ministerpräsident Milbradt und eine Gewerkschaftsvertreterin der Gorlebener Bergleute. Nachdem alle mit der Materie befassten Umweltverbände und Initiativen unter den von der Politik vorgegebenen Bedingungen nicht an der Kommission teilnehmen wollten, wurden zwei NGOs gesucht, in denen die Parteien entsprechenden Einfluss haben. Und mit dem BUND und der Deutschen Umwelthilfe wurden zwei gefunden. Nein, ich glaube nicht, dass die Kommission einen gesellschaftlichen Konsens erarbeiten kann.

Wie müsste denn Ihrer Meinung nach ein Prozess aussehen, an dessen Ende alle den Standort für ein Atommülllager akzeptieren?

Die potenziell betroffenen Regionen müssen von Anfang an, also schon bei der Entwicklung des Suchverfahrens, mit einbezogen werden. Sie müssen sagen, was sie brauchen, um dem Verfahren, den Behörden und den Wissenschaftler*innen vertrauen zu können, dass wirklich alles fair und gerecht zugeht. Darüber hinaus brauchen die Regionen ein Vetorecht. Denn nur wer Nein sagen darf, kann auch frei Ja sagen. So ein Vetorecht zwingt die Politik auch zu einem wirklich fairen Verfahren, denn sie muss ja die Menschen vor Ort überzeugen und kann nicht notfalls die Wasserwerfer auffahren lassen.

In den Medien wurde der Vorwurf laut, dass sich gerade die Umweltverbände einem Konsensverfahren verweigern würden und Probleme damit hätten, einen Standort mitzutragen. Denn egal wo der Atommüll letztlich hinkomme, sei mit Protesten der Bevölkerung zu rechnen. Eine Zwickmühle für die Anti-Atom-Bewegung?

27. Oktober

Wie geht die Gesellschaft mit den strahlenden Abfällen aus Atomkraftwerken um? Jochen Stay über diese und andere brennende Fragen, anschließend Diskussion. 19 Uhr, Mehringhof, Versammlungsraum, Gneisenaustraße 2a

Wer so etwas sagt, verkennt, wie sich die Rolle von uns Atomkraftgegner*innen in den letzten Jahren gewandelt hat. Wenn jemand Garant für die am wenigsten unsichere Lagerung von Atommüll ist, dann sind es die Anti-Atom-Initiativen. In Ahaus gab es Proteste gegen den Export von dort lagerndem Atommüll nach Russland. In Jülich gibt es jetzt Proteste gegen die geplanten Exporte in die USA. Die Initiativen in Obrigheim wenden sich gegen den Abtransport des dortigen Atommülls nach Neckarwestheim. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Das heißt: Die örtlichen Initiativen sagen: Der Atommüll bleibt hier, denn das Risiko ist woanders auch nicht kleiner und das können wir den Menschen dort nicht zumuten. Wer sich gegen Atommülllagerung vor Ort ausspricht, ist inzwischen hauptsächlich die örtliche CDU.

Wie sieht es im Wendland aus? Ist der Standort Gorleben als Endlager politisch noch durchsetzbar?

Ich erlebe es so, dass Gesetz und Kommission dazu da sind, die derzeit fehlende Durchsetzbarkeit von Gorleben herzustellen. Gorleben wäre irgendwann vor Gericht gescheitert, weil es nie eine vergleichende Standortauswahl und nie eine Beteiligung der Öffentlichkeit gegeben hat. Beides versucht man jetzt auf niedrigstem Niveau nachzuholen, um so den Standort Gorleben rechtssicher zu machen.