Große und weniger große Reisen

FILM Die Türkische Filmwoche erinnert an das erste nationale Filmzeugnis von 1914 und zeigt dennoch vor allem neuere internationale Koproduktionen

„Eve Dönüs – Sarikamis 1915“ ist eine Odyssee, nicht nur wegen der Schneestürme

VON CAROLIN WEIDNER

Der Film, der als erstes türkisches Filmzeugnis gilt, zeigt eine Explosion. Nämlich die Zerstörung des russischen Denkmals in San Stefano (heute Yesilköy) im Jahre 1914. Verantwortlich für die stummen Aufnahmen war Fuat Uzkinay, eine türkischer Reserveoffizier. Und der Titel des Films weiß den Inhalt auch auf ganz unmissverständliche Weise zu vermitteln: „Ayastefanos’daki Rus Abidesinin Yikilisi“ – „Die Zerstörung des russischen Denkmals in San Stefano“. Seither ist viel Zeit vergangen, einhundert Jahre, um genau zu sein. Eine Zahl, welche die 12. Türkische Filmwoche, die vom 23. Oktober bis zum 1. November im UCI Colosseum, Prenzlauer Berg, stattfindet, zum Anlass nimmt, an jenen Auftakt zu erinnern. Dieser schlägt sich zwar nicht auf das Filmprogramm nieder (der älteste Film ist „Dedemin Insanlar?“ – „My Grandfather’s People“ von Çagan Irmak aus dem Jahr 2011 (Türkei), der die Filmwoche auch eröffnet), aber immerhin wird die Schau von einer Ausstellung in der Botschaft der Republik Türkei begleitet: „Impressionen – 100 Jahre türkisches Kino“, die vor allem Filmplakate präsentiert.

In historischer Nähe befindet sich allerdings Alphan Eselis „Eve Dönüs – Sarikamis 1915“ – „Die Heimkehr – Sarikamis 1915“ (Türkei 2013), der kurz nach der Schlacht von Sarikamis ansetzt. Der Film folgt einer Gruppe von sieben Menschen, die nach den Kriegshandlungen an der Kaukasusfront (das Osmanische Reich unterlag dabei dem Zarenreich) versuchen, in ihre Heimatdörfer zurückzukehren. Eine Odyssee, nicht nur wegen der Schneestürme, die sie überstehen müssen. Ein ziemlicher Kontrast zu diesem schweren Stück ist die deutsch-türkische Koproduktion „Yozgat Blues“ (2013) von Mahmut Fazil Coskun. Coskun, der sich bereits 2009 mit „Uzak ihtimal“ daran machte, von dem Straucheln und den Illusionen kleiner Leute zu erzählen (damals verliebte sich Muezzin Musa in seine katholische Nachbarin Clara, die auch noch Krankenschwester war), widmet sich auch in „Yozgat Blues“ diesem Sujet. Der, der es schwer hat, heißt nun Yavuz (Ercan Kesal), und das Programmheft der Filmwoche schreibt ganz schlicht und richtig: „Yavuz hat den Blues“. Denn der Musiklehrer aus Istanbul ist von seinen Auftritten in Einkaufszentren frustriert, er fühlt, das Leben zieht an ihm vorbei, und da nützen auch die französischen Chansons wenig, die er zum Besten gibt. Die Situation scheint sich jedoch aufzuhellen, als Yavuz einigen Nachtclub-Auftritten in Yozgat, Anatolien, zustimmt. Auf die Reise begleitet ihn Nese, eine seiner Schülerinnen, die mit ihm singen wird und in deren Richtung sich Yavuz’ Gefühle etwas verirren.

Eine Koproduktion ist auch „Güzelligin On Par’ Etmez …“ – „Deine Schönheit ist nichts wert …“ (Türkei/Österreich) von Hüseyin Tabak aus dem Jahr 2012. Ort des Geschehens ist Wien. Ein Wien, das sich aus der Perspektive des 12-jährigen Jungen Veysel (Abdulkadir Tuncer) erschließt. Veysel ist mit seiner türkisch-kurdischen Familie vor knapp sechs Monaten nach Österreich eingewandert, spricht schlecht Deutsch, und sein älterer Bruder Mazlum hat sich kurz nach Ankunft einer Streetgang angeschlossen und mit dem Vater gebrochen. Eine unsortierte Situation, der Veysel verständlicherweise zu entfliehen sucht. Methode der Wahl: Tagträumen. Einer trägt zum Beispiel den Titel „Ana“, eine Mitschülerin, in die sich Veysel verliebt hat. „Güzelligin On Par’ Etmez …“ ist Tabaks Abschlussarbeit an der Filmakademie Wien, entstanden unter Aufsicht des Regie-Professors Michael Haneke. Und dann macht die Filmwoche plötzlich noch Station in Neukölln. In „Ummah“ – „Unter Freunden“ (Deutschland 2013) lässt Regisseur Cüneyt Kaya den verdeckten Ermittler (vom Verfassungsschutz) Daniel (Frederick Lau) in eine Neuköllner Wohnung einziehen und auf Tuchfühlung mit seinen muslimischen Nachbarn gehen. Dabei werden so einige Klischees an die Oberfläche gespült, halb lustig, halb ernst. Ist eine Freundschaft zwischen Abbas, Jamal und Daniel möglich? Es ist der 12. Türkischen Filmwoche zugutezuhalten, dass sie sich auch dieser Frage widmet – halb lustig, halb ernst.

■ Türkische Filmwoche Berlin: UCI Colosseum, Prenzlauer Berg, 23. 10.–1. 11. www.tuerkischefilmwoche-berlin.de