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: Lahm gegen Ochs

Gebete, Nervositätsweizenbiere und ein Bayernfan hinter der Frankfurter Mauer in einer Eintracht-Kneipe

Sitz ich also im Kyklamino, in meiner Lieblings-Eintracht-Kneipe im freundlich altmodischen Frankfurter Gallusviertel. Gäbe es das Wort nicht, ich hätte es erfunden: „heimelig“. Im Kyklamino ist es heimelig. Draußen rotiert die hysterische Welt, hier herrscht Ruhe. Wirbelig kräuseln die Rauchspiralen durch die Luft. Die Eintracht versemmelt in der ersten Minute eine Chance. Ich grinse wie „Gottmar“ Hitzfeld.

„Kann es sein, dass ich hier in Unterzahl bin?“, frage ich, am Tresen hängend, meinen Hauswirt Apollo. „Du hältst dein Maul!“, sagt er sachlich. Hermann, ein etwa sechsundfünfzigjähriger Großsachverständiger in Fußballfragen, der eine Art metaphysische Milde ausstrahlt, ist als Bayern-Fan mein einziger Verbündeter. Er hockt drüben in der Ledersofaecke, der neusten Errungenschaft des Kyklamino, um im marktwirtschaftlichen Modernisierungswettkrampf Punkte zu sammeln.

Das Kyklamino ist voll wie neulich beim quarzöden Pokalkick gegen Offenbach. Eine Stimmung wie im germanistischen Oberseminar. „Wie viel haben die Bayern dem Schiedsrichter gegeben?“, brummelt Apollo. „Halt die Klappe!“, sage ich. „Du bist heute leise!“, meint er. In der zehnten Minute – die Eintracht mörtelt hilflos gegen den Verein der Weltvernunft herum – unterbreite ich Apollo den Vorschlag, Funkel möge Apollos Lieblingsspieler Benjamin Köhler einwechseln. „Der is ja drin“, sagt Apollo. „Der spielt, der Idiot. Haste nich gesehn?“ – „Ach, der andere Idiot! Kann auch nicht schießen!“, höre ich’s wenig später von der Kaffeemaschine herüberknollern. Apollo hat glänzende Laune. „Fang halt wieder an zu rauchen!“, empfehle ich ihm.

Werner, der Physikprofessor, betet vor seiner Pilstulpe. Alex schweigt. Heike sagt nichts. Apollos Handy klingelt. Die Nervositätsweizenpokale fahren in die Höhe. Stimmungskanone Apollo klatscht fünfmal rhythmisch in die Hände. Damit was passiert, huste ich herzhaft.

Der Arena-Reporter merkt an: „Die Frankfurter Mauer wird bejubelt.“ Ein Freistoß der Bayern ist abgeblockt worden. Die erste Nietenhalbzeit endet, und ich sehe ein Spruchband in der Bayern-Kurve: „Fehler im System“. Ein Spiel wie hinter Milchglas. „Das könnt auch in Bielefeld sein“, sagt Katja. Apollo greift todesmutig zu einem alkoholfreien Bier. „So bekloppt kann man nicht sein! Er heißt trotzdem Thurk!“, keucht er in der 58. Minute. Mein diesjähriger Reporterlieblingssatz fällt: „Lahm gegen Ochs.“ Das Spiel ist eine einzige Baustelle, und in der 78. Minute schießt Preuß das Tor des Jahres. Tisch 21, einer von vier Tischen, kriegt Ouzo. Jetzt raucht mir Katja „gezielt“ meinen Tabak weg, und der Tresennebenmann erklärt: „Die Bayern sind Brezelsalzer!“ Ich hab mich dann hinter der Frankfurter Mauer verkrochen. JÜRGEN ROTH