Der Alleingänger

6. Juli 1999: Unmittelbar nach seinem Amtsantritt verkündet Premier Ehud Barak eine umfassende Nahost-Friedenspolitik. Er verspricht, binnen eines Jahres die israelischen Soldaten aus der „Sicherheitszone“ im Süden des Libanon abzuziehen.

11. Juli 2000: In Camp David bei Washington beginnt im Beisein von US-Präsident Bill Clinton ein Gipfeltreffen Baraks mit Palästinenserpräsident Arafat. Ziel ist die Schaffung eines Palästinenserstaates. Der Gipfel scheitert nach 15 Tagen. Es gibt keine Einigung in Fragen des Status von Jerusalem, des Rückkehrrechts für Palästinenser und der Räumung israelischer Siedlungen.

29. November 2000: Barak löst überraschend das Parlament auf, am 10. Dezember tritt er als Premier zurück. Bei den anschließenden Wahlen im Februar erhält er aber nur 37,4 Prozent der Stimmen. Mit 62,5 Prozent wird Ariel Scharon der Wahlsieger.

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Ehud Barak entschuldigt sich für seine Verspätung bei der erst kurze Zeit zuvor einberufenen Pressekonferenz. Die Spontaneität der Veranstaltung ist Teil der Inszenierung. Barak referiert einen vorbereiteten Text, von dem er nicht abweicht. Selbst die Entschuldigung hat er vorab formuliert. Der 65-Jährige, der seit Monaten sein politisches Comeback vorbereitet, gibt sich freundlich, verbindlich. Auf die ihn umzingelnden Journalisten wirkt er fast ein wenig schüchtern.

Nur wenige Tage bleiben noch, bis die Arbeitspartei am kommenden Montag ihren neuen Chef wählt. Barak, dem seit Jahresbeginn alle Umfragen die größten Chancen einräumen, hält sich bedeckt. „Jetzt nicht“, schiebt er das Mikrofon eines Berichterstatters zur Seite, der wissen möchte, ob Barak die Partei aus der Regierungskoalition herausholen will, um so zu vorgezogenen Neuwahlen zu kommen. Noch hütet der begeisterte Schachspieler sein Geheimnis, wann er den Likud-Chef Benjamin Netanjahu herausfordern will. Letzten Umfragen zufolge läge der Likud mit 30 Mandaten klar vor der Arbeitspartei, die nur 21 Sitze für sich entscheiden könnte, würden heute Wahlen stattfinden. Auf der Popularitätsskala von 1 bis 10 steht Netanjahu mit 5,27 ebenfalls deutlich vor Barak, der es nur auf 3,91 bringt.

„Wenn du keine klare Position hast, dann schweig“, rät Mosche Gaon, ein früherer Mitarbeiter des hochdekorierten Soldaten. Nur keine Angriffsfläche bieten, scheint die Devise zu heißen.

Schließlich tritt Barak doch vor die Kameras. Er sei davon überzeugt, dass Regierungschef Ehud Olmert die Konsequenzen aus dem Bericht der sogenannten Winograd-Kommission über die Fehler des vergangenen Libanonkriegs ziehen werde, sagt er. Und räumt gleichzeitig ein: „Ich bin bereit, als Verteidigungsminister dem Staat zu dienen.“ Damit stellt er weder ein Ultimatum an Olmert noch garantiert er dem Premierminister Rückendeckung bei dessen Überlebenskampf und Plan, die in dem Kriegsbericht aufgezählten Mängel selbst zu beheben.

Barak versuche sich mit nebulösen Zweideutigkeiten aus der Affäre zu ziehen, werfen ihm Ami Ayalon, ehemals Chef des inländischen Geheimdienstes, und Ofir Pines-Pas vor. Beide sind Mitstreiter bei den „Primaries“ am Montag. Es wird wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Umfragen gaben in dieser Woche Ayalon mit 37,8 Prozent zum ersten Mal einen kleinen Vorsprung vor Barak, der den Ergebnissen zufolge auf 36 Prozent kommt. Schafft keiner der beiden mehr als 40 Prozent, gibt es einen zweiten Wahlgang.

Exinnenminister Pines-Pas hinkt mit etwas mehr als 20 Prozent hinterher. Pines-Pas führt seit Veröffentlichung des Winograd-Berichts die Kampagne zur Ablösung Olmerts. Vorläufig ohne Erfolg. Als der Zentralrat der Sozialdemokraten Ende vergangener Woche über den Ausstieg aus der Koalition entscheiden sollte, überzeugte der Noch-Parteichef Amir Peretz binnen weniger Minuten die Genossen davon, die Abstimmung bis auf weiteres zu verschieben. Barak verfolgte die Debatte – und schwieg.

Hinter den verschlossenen Türen der Mitgliederversammlungen in Kibutzim bereitet der Sohn eingewanderter polnischer Juden seine politische Rückkehr vor. In den sechs Jahren nach seiner Wahlniederlage gegenüber Ariel Scharon sei er „ein anderer“ geworden, so verkaufen die Berater das neue „Image“ von Barak. „Ich habe gelernt, dass ich nicht alles allein erreichen kann“, das ist die Botschaft des Mannes, der sich in den knapp 20 Monaten an der Regierungsspitze von niemandem belehren lassen wollte. Die Satiresendung „Charzufim“ (das israelische Pendant zu „Hurra Deutschland“) ließ Barak damals als Napoleon auftreten.

In der Tat war Barak für kurze Zeit so etwas wie der „König“ von Israel. Er versprach Frieden mit Syrien, scheiterte aber. Mit Camp David bekam er im Juli 2000 dann seine zweite große Chance. Unterstützt vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, setzte er alles daran, den inzwischen verstorbenen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat zum Unterschreiben des von ihm entworfenen Friedensplan zu bewegen. Er scheiterte erneut.

Zurück blieb ein Scherbenhaufen. Israel wurde von der schlimmsten Terrorwelle seit seiner Staatsgründung erfasst. Die Sozialdemokraten verblieben unter der Führung des Ersatzkandidaten Schimon Peres in der konservativen Regierung Scharons, sie hielten her als Feigenblatt für blutige Militäroperationen und büßten damit an Glaubwürdigkeit und Popularität ein. „Der Mann, der die Arbeitspartei zu Boden zwang, will die Proletarier erneut zum Sieg führen“, ätzt Kommentator Mordechai Gilat in der Zeitung Jediot Ahronot. Kein Wunder, dass Baraks Berater um ein verändertes „Image“ bemüht sind.

Selbst der von weiten Teilen der israelischen Bevölkerung umjubelte Abzug aus dem über 18 Jahre besetzten Südlibanon, der auf Baraks Konto geht, lässt sich nach dem Libanondebakel im vergangenen Sommer nicht mehr als politische oder gar strategische Errungenschaft verkaufen. Die lange Reihe der Versäumnisse, die im vergangenen Sommer im Libanonfeldzug zu Israels Niederlage führte, begann der Winograd-Kommission zufolge schon mit dem einseitigen Abzug vor sieben Jahren und dem damaligen Verzicht auf eine sofortige internationale Truppenstationierung. Baraks Fehler also. Den früheren Stabschef hindert das nicht, sich heute auf die Seite der Kritiker von Armee und Regierung zu schlagen.

„In Israel gibt es keinen Ersatz für Erfahrung in der Führungsebene“, meint Barak vor Schülern in Haifa. Verteidigungsminister Peretz, Exstabschef Dan Chalutz und Premier Olmert „hatten die besten Absichten“, räumte er ein. Um dann doch zu betonten: „Aber was letztendlich zählt, ist die Erfahrung.“ Die Winograd-Kommission wirft Olmert und Peretz vor, übereilt und laienhaft den Krieg vom Zaun gebrochen zu haben. Beide waren nur so lange beim Militär, wie sie unbedingt mussten.

Anders Ehud Barak: Er beendete seine über 35-jährige steile Militärkarriere als Stabschef. Er holte sich mehrere Orden, einen davon beim systematischen Rachefeldzugs gegen die Hintermänner des Überfalls auf die israelischen Sportler während der Münchner Olympiade 1972.

Von dem damaligen Premierminister Jitzhak Rabin in die Politik gerufen, wurde er 1995 Innenminister. Nach der Ermordung Rabins stieg Barak unter Schimon Peres zum Außenminister auf. Nach dessen Wahlschlappe 1996 übernahm Barak den Parteivorsitz. Drei Jahre später entschied er die vorgezogenen Neuwahlen für sich. Er wurde Premier.

„Ich habe gelernt, dass ich nicht alles alleine erreichen kann.“ Mit diesem Slogan wirbt Ehud Barak für seine Rückkehr auf die politische Bühne

Wie Schimon Peres setzte auch Barak auf die syrische Karte. Im Januar 2000 schien ein Friedensvertrag mit Hafez el-Assad so gut wie abgemacht. Dass es schließlich doch nicht so weit kam, lag mit daran, „dass Ehud kalte Füße bekam“, wie Mosche Amiraw, damals Berater Baraks, seinem ehemaligem Chef bis heute vorwirft.

Die „Schlappe von Shepherdstown“, wo die israelisch-syrischen Gespräche stattfanden, sei, so vermutet Amiraw, auch Grund dafür gewesen, dass Barak später „nach Camp David rannte“, um nun durch Verhandlungen mit den Palästinensern noch wenigstens einen Erfolg zu erreichen.

Doch Barak zog nach Camp David, ohne dass zuvor eine öffentliche Debatte in Israel stattgefunden hätte, ohne Mehrheit in der Knesset und ohne Garantie, dass er eine Einigungen zu Hause auch durchsetzen könnte. Allein die Teilung Jerusalems, wie Barak sie Arafat vorschlug, war einer Mehrheit der Israelis zum Zeitpunkt der Verhandlungen ein Tabu.

Verheerende Folgen für die weiteren Entwicklungen hatte schließlich Baraks Arroganz gegenüber den Palästinensern, denen er eine Lösung präsentierte, die praktisch nicht mehr verhandelbar war. „Ein Friedensprozess ist zuallererst ein Prozess, der Zeit in Anspruch nimmt. Barak hat das nicht verstanden“, kritisiert Jael Dajan ihren ehemaligen Parteifreund. Selbst wenn Präsident Arafat seinen Vorschlag akzeptiert hätte, „so wären die Palästinenser damals noch nicht bereit dafür gewesen“, glaubt Dajan. Barak seinerseits macht niemand anderen als Jassir Arafat für das Scheitern von Camp David verantwortlich.

Um die Wähler heute noch einmal von sich zu überzeugen, wird Barak ein politisches Programm brauchen, nicht nur ein verändertes „Image“. Ein Image, das ihm ohnehin niemand abzunehmen scheint. „Keiner ändert sich wirklich“, meint sein Parteifreund Eitan Haber. Er mag mit nettem Lächeln und einem warmen Händedruck vorgaukeln, zuzuhören und sich beraten zu lassen. Doch „wenn er auf dem Stuhl des Premierministers sitzt, dann wird er wieder der sein, der er schon immer war“.

Äußerlich hat er sich verändert in den vergangenen sechs Jahren. Barak ist deutlich runder um die Hüften, und die Stoppelhaare sind auch etwas grauer geworden. Er hat sich von seiner Frau Nawa getrennt, mit der er drei Töchter hat. Geschäfte in Übersee und Vorträge haben ihn zum Multimillionär gemacht lassen. Mit dem Geld könnte er sich die besten Berater leisten, auch wenn er ihren Rat dann doch wieder einmal nicht befolgt.