Autoren der Bewegung

„Wir sind überall“ illustriert, was Globalisierungskritiker antreibt – von Italien bis Brasilien, von Australien bis Indien

Was verbindet Landbesetzer in Brasilien mit Studierenden in den USA, französische Arbeitslose mit radikalen Umweltschützern aus England, Kleinbauern in Indien mit italienischen Anarchisten und Indymedia-Aktivisten mit Flüchtlingsbefreiern in Australien? Bücher über die antineoliberale, globalisierungskritische Bewegung gibt es schon viele – ohne dass diese Frage wirklich beantwortet wäre. Mit „Wir sind überall“ kommt nun erstmals ein Buch aus der Bewegung.

Mit dem Ziel, „die ungehörten Geschichten zu dokumentieren“, hat ein internationales Autorenkollektiv mit dem Namen „Notes from Nowhere“ Berichte aus der ganzen Welt zusammengetragen. Chiapas, Seattle, Prag, Genua, Cochabamba – die Orte und Ereignisse sind oft bekannt. Doch in den Reportagen, Interviews, Ich-Erzählungen oder Dokumentationen finden sich viele neue Aspekte: Hintergründe, Vorgeschichten, persönliche Motivationen und Gefühle, Erlebnisse am Rande. Die Nervosität vor der ersten illegalen „Reclaim the Streets“-Aktion, die Euphorie bei der erfolgreichen WTO-Blockade, die Verzweiflung im Gefängnis von Genua werden eindrücklich beschrieben – aber auch die Alltagsprobleme in den besetzen Fabriken Lateinamerikas und den Nachbarschaftsinitiativen Südafrikas.

Das Konzept funktioniert: Wie eine Art „gedrucktes Weltsozialforum“ lässt das Buch die Akteure für sich selbst sprechen. Mal spannend, mal erschütternd, mal etwas langatmig und mal amüsant erzählen sie ihre subjektiven Geschichten – und damit zugleich die Geschichte der Bewegung, besser als ein einzelner Autor das jemals könnte. Neben Inhalten und Aktionsformen nimmt auch der Umgang mit Gewalt und staatlicher Repression breiten Raum ein. Ergänzt werden die rund 60 Texte von eindrucksvollen Fotografien, einer chronologischen Zeitleiste, praktischen Anleitungen für „direkte Aktionen“ sowie mehreren zusammenfassenden Analysen. Diese ordnen die einzelnen Geschichten ein und stellen zentrale Konzepte und Ausdrucksformen der Bewegung dar, etwa die Rückeroberung öffentlicher Räume und die Verbindung von Protest und Party.

Neben der nicht immer optimalen Übersetzung ist der größte Nachteil dieses Sammelbands, dass die beschriebenen Ereignisse, die mit dem Aufstand der Zapatisten 1994 beginnen, im Jahr 2003 enden – dem Erscheinungsjahr der englischen Originalausgabe. Das für die deutsche Fassung angehängte Nachwort, das die folgenden vier Jahre in Kürze zu bewerten versucht, kann dieses Defizit nicht wirklich ausgleichen.

Dennoch: Alle, die noch eine Motivation brauchen, zu den G-8-Protesten nach Heiligendamm zu fahren, werden in diesem Buch fündig – ebenso wie alle, die wissen wollen, was Menschen antreibt, die dort und anderswo auf die Straße gehen. MALTE KREUTZFELDT

Notes from Nowhere (Hg.): „Wir sind überall“. Edition Nautilus, Hamburg 2007, 544 Seiten, 19,90 Euro